Atomare Alpträume

Angesichts der Angst vor einer Apokalypse: kurzer Rückblick auf die US-Filmkultur zum Kalten Krieg

Dr. Strangelove, 1964, Stanley Kubrick

Für manche Menschen ist es heute schwer vorstellbar, dass noch vor etwa vierzig Jahren einhundert Millionen Menschen dasselbe gleichzeitig im Fernsehen sahen und hinterher beim Abendessen, in Bars und Büros darüber gesprochen wurde. The Day After war so ein „Straßenfeger“, der den Kalten Krieg problematisierte und damit den Zeitgeist traf. In New York schauten sich an dem Abend siebenhundert Menschen den Film in einer Kirche an, weil sie ihn nicht allein zu Hause sehen wollten.

Der Katastrophenfilm, von Konservativen als linke Propaganda gesehen, wurde von dem US-Sender ABC am 20. November 1983 ausgestrahlt. Er dramatisierte einen Atomangriff auf amerikanischem Boden – und das ziemlich drastisch. „Es lässt Sie über das Leben und die Welt nachdenken und darüber, was Sie tun würden, wenn Sie wüssten, dass die Atomraketen tatsächlich auf dem Weg hierher sind“, sagte eine Nachrichtensprecherin. Die Szene des Films, in der ein Atompilz über der Wildnis von Kansas aufsteigt und Menschen von Röntgenstrahlen verbrannt werden, löste bei vielen Zuseher:innen verständlicherweise eine Schockstarre aus. Ein kleines Mädchen, das den Film mit ihren Eltern gesehen hat, sagt in die Kamera, sollte wirklich eine Bombe einschlagen, hoffe sie, auf der Stelle tot zu sein – damit sie nicht „wieder von vorn anfangen muss“.

Präsident Ronald Reagan zeigte den Film, dessen Wert mehr in der Wirkung als in der Ausführung liegt, in Camp David. Er schrieb in sein Tagebuch, dass der Film ihn sehr deprimiert zurückgelassen habe und dass er „zusehen müsse, dass es niemals zu einem Atomkrieg kommt“. Reagan hat in seiner zweiten Amtszeit mit Michail Gorbatschow daran gearbeitet, das nukleare Wettrüsten zu bremsen. Kann man deshalb sagen, dass ein einzelner Film die Macht gehabt hat, einen Atomkrieg zu verhindern? Und muss man dann auch sagen, ein Film könnte umgekehrt die Macht haben, einen Atomkrieg anheizen?

Viele von uns haben den Kalten Krieg nicht miterlebt oder waren vielleicht im Kindergarten, als die bipolare Weltordnung im Jahr 1991 angeblich vorbei war.

Jetzt, da wieder einmal ein labiler Tyrann damit droht, den sprichwörtlichen roten Knopf zu drücken, kommen sehr reale Ängste hoch, die sich mit der Fiktion vermischen. Hollywood kann ja bekanntlich wenig besser, als unsere Gehirne einzuschmelzen.

In vielen amerikanischen Filmen waren die Rollen klar verteilt (in sowjetischen Filmen nebenbei auch): Seit dem Zweiten Weltkrieg terrorisieren russische Bösewichte die Amerikaner regelmäßig auf der Leinwand – und das bis heute. Die außerordentlich gelungene und beliebte TV-Serie The Americans, welche von 2013 bis 2018 im US-Kabelfernsehen lief, spielt in den 1980er Jahren, dreht sich aber um sowjetische Spione, die als echte Amerikaner „durchgehen“, während sie für „Mutter Russland“ arbeiten.

Die Angst vor dem Kommunismus und einem nuklearen Armageddon ist ein wichtiger Teil der amerikanischen Kulturpsyche. Im Kino und Fernsehen der 1950er Jahre kam sie vor allem verschlüsselt in Science-Fiction vor, in Klassikern wie The Day the Earth Stood Still (1951) von Robert Wise. Der Kalte Krieg schwebte auch über der gesamten Twilight Zone. Die Kultserie, die von 1959 bis 1964 im US-Fernsehen lief und bis heute eine treue Anhängerschaft hat, stützte sich stark auf die Paranoia des amerikanischen Publikums. Die Berlin-Krise von 1961 und die Fernsehankündigung von Präsident John F. Kennedy, in der er ein massives Atomschutzbunker-Programm forderte, entfachten ein beispielloses Interesse an Zivilschutz. Zwei Monate später wurde am 29. September 1961 die Twilight Zone-Folge „The Shelter“ ausgestrahlt, in der sich Familien um einen Bunker zanken. Sie strahlt bis heute.

Der Schöpfer der Serie, Rod Serling, vertrat die Ansicht, dass der Stress eines potenziellen Angriffs die Menschen dazu bringen wird, so brutal zu handeln, dass die Gesellschaft zusammenbricht, bevor die Bombe überhaupt einschlägt.

Wenn es jedoch um die Frage geht, wie die Gesellschaft im Fall eines Atomangriffs intakt gehalten werden kann, lautet die Antwort von The Twilight Zone, dass dies unmöglich ist. Serling resümierte am Ende der Folge: „Keine Moral, keine Botschaft, kein prophetisches Traktat, nur eine einfache Tatsachenfeststellung: Damit die Zivilisation überleben kann, muss die menschliche Rasse zivilisiert bleiben. Die heutige sehr kleine Übung in Logik aus der Twilight Zone“.

In den 1960ern wurde sowohl das reale politische Szenario mit der Kubakrise als auch seine Umsetzung auf der Leinwand konkreter. John Frankenheimers The Manchurian Candidate (1962) warnte sowohl vor rechter Hysterie als auch vor linksliberaler Selbstgefälligkeit. Stanley Kubrick führte die atomare Bedrohung im Jahr 1964 ad absurdum und schuf eine der heftigsten Satiren, die Hollywood je hervorgebracht hat: Dr. Strangelove, or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb. Der Film macht sich über die traurige Realität lustig, dass die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion einander innerhalb von dreißig Minuten gegenseitig zerstören könnten – nicht wahrscheinlich, aber möglich. Im gleichen Jahr erschien Sidney Lumets Bestseller-Verfilmung Fail Safe, die vor einer Technologie warnt, die vom Menschen nicht mehr kontrolliert werden kann.

Die 1980er und 1990er brachten Buddy-Comedies wie Walter Hills Red Heat und Spies Like Us von John Landis hervor, Actionfilme wie Red Dawn und den Spionage-Thriller The Hunt of Red October über einen sowjetischen U-Boot-Kapitän, der versucht, in den Westen überzulaufen. Die Tatsache, dass Sean Connery den sowjetischen Kapitän ein Vierteljahrhundert nach der Flucht vor sowjetischen Attentätern als James Bond in dem wunderbaren From Russia With Love (1963) spielt, verleiht dem Ganzen eine zusätzliche Pointe.

Obwohl der Kalte Krieg angeblich vorbei war, kämpften die russischen Filmfiguren immer noch einen ideologischen Kampf, lange nachdem Amerika glaubte, es hätte bereits gewonnen. In Wolfgang Petersens hurra-patriotischem Actioner Air Force One  aus dem Jahr 1997 fragt die von Glenn Close gespielte US-Vizepräsidentin den russischen Terroristen, gespielt von Gary Oldman, was er will. Er antwortet: „Wenn Mutter Russland wieder zu einer großen Nation wird, wenn die Kapitalisten aus dem Kreml gezerrt … wenn unsere Feinde rennen und sich vor Angst bei der Erwähnung unserer Namen verstecken und Amerika um Vergebung bittet – an diesem großen Tag der Befreiung wirst du wissen, was ich will.“

Noch vor ein paar Jahren hätte das Ausmaß der russischen Intervention bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016, oder die Tatsache, dass der Westen und der Osten ihre Atomwaffenarsenale vergleichen, so weit hergeholt geklungen wie der Handlungsentwurf eines solchen Films. Mögen Militärexperten noch so oft vom „Abschreckungspotenzial“ dieser Waffen dozieren: Die Angst vor einem Krieg mit Atomwaffen bleibt für das Publikum sehr real. Dr. Strangelove schließt legendär mit einer Montage von Atompilzen, unterlegt mit Vera Lynns „We’ll Meet Again“.