Spektakelgeboller, Gefühle und Fossilien

Neu im Kino KW 44

Fårö, die Bergman Insel
Bergman Island, 2021, Mia Hansen-Løve

Filme von Mia Hansen-Løve, Chloé Zhao, Francis Lee und Alan Taylor, dazu eine garstige Horrorkomödie von Cody Calahan. Ein selektiver Überblick.

„Alles geht, alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins“: Die nicht enden wollende Reihe an Marvel-Filmen macht auch trainierte Kinogängerinnen und Mainstream-Maniacs vor allem müde, es ist die inzwischen gefühlt tatsächlich ewige Wiederkunft des Gleichen. Wobei es andeutungsweise bergauf geht, nach den wirklich irrsinnig langweiligen Captain America-Filmen, mit dem sehr lustigen Venom-Franchise, das im Abspann des zweiten Teils dann auch eine Verbindung zum übrigen Marvel Cinematic Universe herstellt. Dass Marvel nun für seinen Blockbuster des Monats, Eternals, mit Chloé Zhao (Songs My Brothers Taught Me, The Rider, Nomadland) eine für CGI-Gedengel denkbar abwegige Regisseurin gebucht hat, macht es wieder interessant oder zumindest interessanter. Schon weil man nicht so recht weiß, was es soll. Zhoe hat in ihren ersten drei Filmen eine Filmästhetik kultiviert, die wie ein Ensemble impliziter Antithesen zum CGI-Spektakelgeboller daherkommt: Laienschauspieler:innen, dokumentarischer Kamerablick, langsame Schnittfolgen, Alltäglichkeit.

Richard Madden, Gemma Chan in: Marvel Studios Eternals
Eternals, 2021, Chloé Zhao

Wie das nun alles zusammengeht, wird man sehen. Es deutet sich bereits an, dass in Eternals zwar nach wie vor viel Krachbumm zu bestaunen ist, Dialoge und Gefühliges aber raumgreifender inszeniert sind. Vielleicht ist die zuerst irritierende Verbindung dieser beiden gegensätzlichen Pole aber auch nur der schlichte Versuch, dem MCU ein Publikum zu erschließen, das auch im Geiste älter als sagen wir 14 Jahre ist. Die Ankündigung, Chloé Zhao würde „Sensibilität wie nie in Marvels Superheldenuniversum“ bringen, klingt allerdings auch wieder latent drohend. Weil, das kann ja eigentlich auch niemand wollen.

Dann nämlich könnte man sich auch gleich Ammonite anschauen, in dem Kate Winslet die Fossiliensammlerin Mary Anning spielt. Anning wurde während ihres Wirkens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und auch noch Jahrzehnte nach ihrem Tod aufgrund fehlender formaler Bildung (und weil Männer damals noch allein über so etwas wie den Nachruhm von Frauen entscheiden konnten) als Forscherin nicht ernst genommen. Heute gilt sie als in der Paläontologie als wichtige Innovatorin. Francis Lees Film dichtet Anning eine lesbische Liebesbeziehung an, die Nachfahren haben sich bereits beschwert. Ob die Beschwerde auch gekommen wäre, wenn der Film sich eine Beziehung zu einem Mann zusammenspekuliert hätte, man weiß es nicht. Der gemessene Rhythmus des Films, seine nuancierte Bildsprache und die Zwischentöne des Spiels von Winslet mit Partnerin Saoirse Ronan vermögen jedenfalls zu berühren.

Ammonite
Ammonite, 2020, Francis Lee

Ein ebenfalls sehr erwachsener Film ist Bergman Island, geschrieben und inszeniert von Mia Hansen-Løve, eine der zur Zeit interessantesten Regisseurinnen. Ein Film über ein Ehepaar, über das Schreiben, über nicht abgeschlossene Beziehungen und die Versuche, von ihnen zu erzählen. Zwei Filmemacher (Tim Roth und Vicky Krieps) verbringen Zeit im Anwesen von Ingmar Bergman auf der Insel Fårö, das seit dem Tod des schwedischen Regisseurs als Künstlerhaus genutzt wird. Er führt seine Filme auf dem örtlichen Filmfestival vor, sitzt auf Panels rum und schreibt, sie hat Probleme mit ihrem Drehbuch. Es entfaltet sich das Bild einer Ehe, in der kreative Prozesse eine zentrale Rolle spielen, das nichts Dramatisches hat und nicht eindeutig ausfällt. Auch die Bezüge zu Bergman bleiben, wie vieles in den Filmen Hansen-Løves, lose. Bilder und Dialoge, die einem genug Platz für eigene Erfahrungen und Wahrnehmung lassen. Und trotzdem eine große erzählerische Präzision und Formbewusstsein zeigen.

Bergman Island
Bergman Island, 2021, Mia Hansen-Løve

The Sopranos gehören ohne Frage zum Besten, was das Fernsehen in seiner Geschichte bislang hervorgebracht hat. In kaum einer Serie sonst kann man so versinken, wenig sonst ist so entertaining und zugleich so intelligent konzipiert und erzählt. Jetzt kommt das lange angekündigte Prequel The Many Saints of Newark in die Kinos. Den jungen Tony Soprano spielt James Gandolfinis Sohn, Michael Gandolfini, der sich bis zur Rollenzusage nicht eine Sopranos-Folge angeschaut haben will. Ob es vierzehn Jahre nach der Erstausstrahlung der noch einmal besonders legendären Folge und acht Jahre nach dem Tod James Gandolfinis ein Prequel wirklich braucht – schließlich ist die Serie als geschlossenes Werk so etwas wie perfekt –, ist die Frage, einerseits. Andererseits ist die Vorfreude auf The Many Saints of Newark dann doch enorm. Und das Problem, den die Produzenten wahrscheinlich hatten („Wie vermarkten wir einen Film, der den Eindruck erweckt, er würde die Kenntnis von sieben Serienstaffeln voraussetzen?“), ist nicht das Problem des Fans, der die sieben Staffeln auswendig hersagen kann.

Sopranos-Sequel
The Many Saints of Newark, 2021, Alan Taylor

Zum Schluss noch etwas Heiteres: Vicious Fun ist ein weiterer humoriger Meta-Horrorfilm. Der Plot ist im selben Maße clever und bescheuert: Joel, ein junger Horrorfilmkritiker, gerät in einer Selbsthilfegruppe für Serienmörder:innen und versucht, in diesem Kreis nicht weiter aufzufallen, um nicht das nächste Opfer zu werden. Was der Film hat, was man aber auch mitbringen sollte, wenn man ihn irgendwie genießen will: Genre-Wissen, Ironie-Vermögen und Lust am Quatsch.