Seitenwechsel

Neu im Kino KW 43

Ein Polizei-Film
Una película de policías, 2021, Alonso Ruizpalacios

Filme von Alonso Ruizpalacios, Scott Cooper, York-Fabian Raabe, Rebecca Hall und das nächste Remake von Sönke Wortmann. Ein selektiver Überblick.

Der Schwung an französischen Wohlfühlkomödien, die kontroverse Themen aufnehmen (Stadt-Land-Gefälle, die in diesen Filmen viel beschworenen kulturellen Unterschiede, Rassismus) und so davon erzählen, dass man freundlich-wissend darüber schmunzeln kann, reißt nicht ab. Es kündigt beziehungsweise droht sich an, dass all dies jetzt noch ein zweites Mal in Form von deutschsprachigen Remakes durch die Kinosäle wandert. Das wird im Wesentlichen davon abhängen, ob Sönke Wortmanns Contra ein kommerzieller Erfolg wird, und davon kann man ausgehen. Schon sein voriger Film, der immens ertragreiche Der Vorname, war ein Remake, in dem Fall von Le Prénom (Regie: Alexandre de La Patellière, Matthieu Delaporte). Jetzt hat Wortmann Yvan Attals drei Jahre alten Die brillante Mademoiselle Neïla neu verfilmt. Der Universitätsprofessor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst als habilitierter Stromfeld) führt die Jura-Studentin Naima (Nilam Farooq) vor, die zu seiner Vorlesung zu spät kommt („In meinem Kulturkreis bedeutet Pünktlichkeit noch etwas“), in der Folge droht der Disziplinarausschuss mit Sanktionen. Pohl soll Naima auf einen Debattierwettbewerb vorbereiten, um die Kollegen milde zu stimmen. Alles ein wenig mit der heißen Nadel gestrickt und sehr nah an der synchronisierten Fassung des Originals. Allerdings wurden die Klischees, über die sich hier lustig gemacht wird, den jeweiligen Gepflogenheiten der beiden Produktionsländer angepasst. Wer Die brillante Mademoiselle Neïla gesehen hat, muss also vielleicht nicht noch einmal… Und wer es noch nicht gesehen hat, hat mit Attals Film voraussichtlich mehr Spaß als mit dem Remake.

Contra
Contra, 2020, Sönke Wortmann

Ein weiterer Film über Rassismus, dieses Mal keine Komödie, sondern ein Versuch, in einem historischen Setting Verknüpfungen mit aktuell laufenden Debatten zu schaffen: Seitenwechsel (der im Original den wesentlich treffenderen Titel Passing trägt) ist die Verfilmung von Nella Larsens gleichnamigen Roman (und außerdem aus autobiografischem Grund das Regiedebüt der Schauspielerin Rebecca Hall). Larsen war in den 1920er Jahren Teil der literarischen Bewegung der Harlem Renaissance. Im New Yorker Stadtteil Harlem hatte sich im Zuge der massenhaften Übersiedlung der schwarzen Bevölkerung von den Nord- in die Südstaaten ein schwarzes Bürgertum herausgebildet – mit der entsprechenden Literatur- und Kunstszene. Unter den Schriftsteller:innen der damaligen Zeit waren erstaunlich viele Autorinnen. Nella Larsen erzählt anhand von zwei Frauen (im Film gespielt von Tessa Thompson und Ruth Negga), die sowohl als Schwarze wie auch als Weiße durchgehen könnten (to pass), von hybriden Identitäten. Die eine entscheidet sich für das privilegierte Dasein und heiratet einen Weißen, der leider ein Rassist ist. Was bei Wortmann oder Attal Stoff für eine Komödie mit glücklichem Ende geworden wäre, ist hier gar nicht lustig, sondern eine filmische Auseinandersetzung mit der Frage, was man sein will, was man sein kann und was geschehen kann, wenn beides in einen existenziellen Konflikt miteinander gerät. Seitenwechsel ist in ausgewählten Kinos und ab 10. November auf Netflix zu sehen.

Seitenwechsel
Passing, 2021, Rebecca Hall

Auch eine Aufstiegsgeschichte, allerdings nicht gebrochen, sondern sozusagen in Kreisform, erzählt der Film Borga des bislang vor allem als Produzenten in Erscheinung getretenen York-Fabian Raabe. Kojo (Eugene Boateng) gelingt der Weg von einer Elektroschrott-Deponie in Ghana bis nach Mannheim. Es sei, erklärt Raabe, sein Anspruch gewesen, Migration konsequent aus einer afrikanischen Perspektive zu erzählen.

Mit Crazy Heart und Auge um Auge ist Regisseur Scott Cooper zu einem der Chronisten des Niedergangs der US-Arbeiterklasse geworden. Beide Filme sind, wenn auch sehr unterschiedlich, intensive und genaue Charakterstudien, die wie nebenbei von Geschichte und Gegenwart der Klasse ihrer Protagonist:innen erzählen. Antlers, Coopers Ausflug ins Horrorgenre, mischt den in den ersten beiden Filmen entwickelten nahezu dokumentarischen, empathischen Blick auf die ökonomisch Abgehängten mit drastischen Bildern.

Ein Polizei-Film
Una película de policías, 2021, Alonso Ruizpalacios

Zwischen allen Genre-Stühlen hingegen sitzt Alonso Ruizpalacios’ Ein Polizei-Film (Una película de policías). Der Zuschauer verfolgt den Alltag einer Polizistin und einer Polizistin (Mónica Del Carmen und Raúl Briones) in Mexiko-Stadt, einem Ort, an dem die Beliebtheitswerte der Polizei eher überschaubar sind. Was, obwohl die Protagonist:innen von Anfang an immer wieder direkt zum Publikum sprechen, noch als konventionelles Copdrama beginnt, kippt mehr und mehr ins Unwägbare. Ein Polizei-Film stellt die Antwort auf die Frage, ob man es bei ihm mit einem Dokudrama, einem Dokumentarfilm oder einer Mockumentary zu tun hat, immer wieder selbst infrage. Der auf der jüngsten Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnete Film ist in ausgewählten Kinos und ab 5. November auf Netflix zu sehen.