Pures Unglück

Neu im Kino KW 47

A Pure Place, 2021, Nikias Chryssos

Vier Filme, die sich um verschiedene Formen von Unglück drehen (von Nikias Chryssos, Johannes Roberts, Nora Fingscheidt und Hans Steinbichler), dazu zweimal Erbauliches. Ein selektiver Überblick.

Der Regisseur Nikias Chryssos ist offensichtlich sehr an Mikrokosmen interessiert, in denen man sich nicht einmal begraben aufhalten möchte. Diese Woche startet sein zweiter Langfilm A Pure Place in einigen deutschen Kinos. Das Debüt Der Bunker spielte in einer unter der Erde gelegenen Kleinfamilienhölle. In A Pure Place ist eine griechische Insel der Ort, an dem die Figuren sich mit ihren fixen Ideen sozusagen eingebunkert haben. Die Insel wird vom Sektenführer Fust (Sam Louwyck) regiert, der mit seiner Gefolgschaft eine nach ihm benannte Seife für den Export aufs Festland fabriziert. Das reine Wasser, das die Auserwählten unter seinen Jüngerinnen und Jüngern saufen dürfen, ist sein Badewasser, und man ahnt, dass dieser Film auch ein paar Ideen ekliger hätte werden können. Im Vergleich zum Bunker ist die Groteske hier aber eher gebremst. Eine Konstante zwischen beiden Filmen bildet der faszinierte Blick auf traditionell kleinbürgerliche Tugenden und ihr Perversionspotenzial. A Pure Place bringt Herrschaft mit Sauberkeit in Verbindung und den geglückten Aufstand mit Dreck. Am Ende proben die Kinder der Sekte den Aufstand.

Resident Evil: Welcome to Raccoon City, 2021, Johannes Roberts

Die Resident Evil-Reihe ist nichts, was der Mensch, der sich als Cineast versteht, ohne Weiteres wertschätzt. Alles angeblich Inferiore ist hier beisammen: endlos anmutendes Geballer, Zombietrash, eine Computerspiel-Reihe als Vorlage. Resident Evil: Welcome to Raccoon City ist das unvermeidliche Prequel, Regie führt Johannes Roberts, der auch das Drehbuch geschrieben (was nicht allzu lange gedauert haben dürfte) und mit seinen Filmen 47 Meters Down und 47 Meters Down: Uncaged dem traditionell schwierigen Genre des Hai-Films überraschend schöne Momente geschenkt hat. Roberts hat ein gutes Gespür für die affektintensive Gestaltung von Filmräumen. Das ist, wenn die Fische angreifen oder die Infizierten über die Gesunden herfallen, sehr nützlich. Man schaut solche Filme ja nun auch nicht wegen der geschliffenen Dialoge.

Um Menschen, die in Extremsituationen durcheinanderschreien, geht es auch in dem Drama The Unforgivable, gedreht von der Regisseurin Nora Fingscheidt, die mit Systemsprenger einen der besten deutschsprachigen Filme der vergangenen Jahre gemacht hat. Sandra Bullock spielt eine nach zwanzig Jahren aus der Haft entlassene Mörderin, die versucht, den Kontakt zu ihrer Familie wieder aufzubauen und sich in die Gesellschaft, wie man so sagt, wieder einzugliedern. Die Kritiken bislang fielen eher zurückhaltend aus, um es einmal vorsichtig zu formulieren. The Unforgivable startet in einigen deutschen Kinos und am 10. Dezember dann auch auf Netflix.

The Unforgivable, 2021, Nora Fingscheidt

Voll in die Pathoskiste langt das Bruderdrama Hannes. Zwei charakterlich typischerweise sehr verschiedene Brüder gehen gemeinsam auf die Reise, ein Unfall passiert, der eine, Hannes (Johannes Nussbaum) fällt ins Koma, der andere, Moritz (Leonard Scheicher), versucht zu retten, was zu retten ist. Der Film  gibt allen Beteiligten Gelegenheit zu dramatischen Ausbrüchen und sehr großen Gefühlen, die hier mit sehr großen Gesten zum Ausdruck gebracht werden.

Nach vier Filmen, die sich um verschiedene Formen von Unglück drehen (Sektenirrsinn, Zombies, Knast, Koma), noch zweimal Erbauliches: In À la Carte!, der für die deutschen Kinos mit dem schon arg blöden Untertitel Freiheit geht durch den Magen versehen worden ist, wird die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft noch einmal mit Nachdruck gefeiert. Ein Koch (Grégory Gadebois) fliegt aus dem Adelshaus, für das er die Tafeln zubereitet, und gründet Ende des 18. Jahrhunderts das erste Restaurant Frankreichs. Von nun an wird für das Volk gekocht, und das Essen in diesem Film ist wie für eine Ausgabe des Landlust-Magazins vor der Kamera drapiert worden. Sozusagen die filmische Antithese in diesem Monat zu Welcome to Raccoon City.

À la Carte! / Délicieux, 2021, Éric Besnard

In Das schwarze Quadrat klauen die Kunsträuber Bernhard Schütz und Jacob Matschenz ein Bild mit einem schwarzen Quadrat drauf, 60 Millionen wert. Das kriegt man dann gut an dem über die Kunst der Moderne nicht informierten Flughafenpersonal vorbei. Problematisch wird es erst, wenn es einen als tapsigen Kriminellen auf ein Kreuzfahrtschiff verschlägt und man eben dort, um nicht aufzufliegen, als David-Bowie-Imitator auftreten muss. Ein lustiger Film.