Filme von Wes Anderson, Clint Eastwood, David Gordon Green, Monika Treut, Heinz Emigholz. Und das Venom-Sequel verspeisen wir nebenbei. Ein selektiver Überblick.
Das Kino geht seit seiner Entstehung konstant unter, ist aber irgendwie dann doch nicht final kaputtzukriegen. Fernsehen, Netflix, Pandemie – das Medium übersteht jede Zumutung. Und wird immer wieder aufs Neue gerettet. Zuletzt sollte Daniel Craig beziehungsweise der durchs Corona-Jahr verschobene No Time to Die den Job erledigen. Der zweite Spektakelfilm in diesem Jahr, der sein eigenes Medium vor dem Untergang bewahren soll, ist das Venom-Sequel Let There Be Carnage. Der erste Venom-Film spielte 2018 weltweit immerhin 850 Millionen Dollar ein. Die Kritiken fielen eher verhalten aus, aber das kratzt das serialisierte Blockbuster-Wesen, also die Vergrößerung, Ausstaffierung und Expansion des Marvel-Cinematic-Universe nun einmal gar nicht. Expansion, weil: Venom begründete das Sony Pictures Universe of Marvel Characters (SPUMC), und all das wird voraussichtlich nie mehr ein Ende haben.
Let There Be Carnage verlässt sich auf das Rezept des ersten: Der Spektakelwert liegt weniger in den erwartbaren Materialschlachten als in der schön-schizophrenen Performance Tom Hardys, der von außerirdischem, menschenfressendem Schleim besessen ist. 2018 war die Szene, in der Hardy liebeskrank und infiziert in einem Nobelrestaurant randaliert und lebende Hummer verspeist, denkwürdiger als jede am Rechner programmierte Explosion. Der zweite Teil, bei dem nicht mehr Ruben Fleischer, sondern Gollum-Darsteller Andy Serkis Regie führt, wiederholt Humor und Monster-Ästhetik und hat mit Woody Harrelson als altgewordenem Serienkiller einen interessanteren Villain als der erste Teil. Da kann wer sich für erfreulich kurze 97 Minuten das Gehirn weichklopfen lassen will nicht viel falsch machen.
Wenn es eine Krise des Kinos gibt, dann vielleicht eher eine ästhetische, nicht – jedenfalls nicht primär – eine kommerzielle. Man sollte ihre Ursachen vielleicht nicht immer wieder in den äußeren Umständen suchen, sondern bei den risikoarmen Produktionsstrategien der großen Studios anfangen, die auf der Leinwand eine fortwährende Wiederkehr des ewig Gleichen bedingen. Den neuesten Film des Halloween-Franchise, den elften immerhin, nimmt man dann als Horror-Nerd erst mal auch eher pflichtbewusst und der Vollständigkeit halber mit. Die mit dem von David Gordon Green inszenierten Halloween von 2018 neu begonnene Serie ignoriert die Sequels aus den Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahren (wie auch die beiden eher idiosynkratischen Variationen des Mythos, die Rob Zombi in den Nullerjahren unternommen hat) und schließt direkt an John Carpenters Film von 1978 an. Am Ende des 2018er Halloween ging Michael Myers in Flammen auf, allerdings nicht nachhaltig, versteht sich. Im Sequel Halloween Kills steht das Böse jetzt wie immer einfach wieder auf und zerlegt erst einmal fachgerecht die Feuerwehrmannschaft, die zum Löschen anrückt. Danach wie gewohnt Wehklagen, Geschrei und viel Gerenne. Und eine drastischere Gewalt-Ästhetik als vor vierzig Jahren, die dem aktuellen Genre-Standard entspricht. Neu hingegen ist der Frankenstein-artige Mob der Dorfbewohner, die sich gegen den maskierten Quälgeist zusammenschließen. Der nächste Teil startet dann im Oktober 2022, er soll Halloween Ends heißen, und der Titel ist natürlich eine Lüge.
Eine andere Form von Nerd-Kino produziert Wes Anderson und schafft dabei, spätestens seit The Royal Tenenbaums (1998) unterschiedlich konstruiert, idiosynkratische Verbindungen von Skurrilität und Melancholie. Eine Verbindung, die der Melancholie die Schwere nimmt und der Skurrilität die Albernheit, zumeist. Man fühlt sich schnell heimisch in den antiquiert wirkenden, artifiziell-symmetrischen Welten, die Anderson erschafft. Nicht weil sie authentisch oder auch nur glaubhaft wäre, sondern weil sie eben beides gerade nicht ist und als offensichtlich konstruiertes Universum einen von allzu großen Emotionen und Aufregungen entlastet.
In dem Episodenfilm The French Dispatch ist diese Welt eine fiktive französische Stadt mit dem sehr guten Namen Ennui-sur-Blasé. Hier residiert die Redaktion eines Magazins, das so heißt wie der Film, angeführt von Bill Murray. Andersons Stammschauspielerinnen und -schauspieler sind alle mit dabei, neben Murray Jason Schwartzman natürlich, Tilda Swinton, Owen Wilson und Adrien Brody. Andersons Filme wollen einen nicht involvieren (außer wenn sie das Publikum zum Lachen bringen wollen, und das ist nicht selten der Fall), sondern ihre Welten vorführen. Wie ein etwas altkluges, wunderliches Kind, das eine besonders eigenwillige, aber beeindruckende Landschaft aus Bausteinen gebaut hat.
Auf andere Weise melancholisch stimmt einen das Spätwerk von Clint Eastwood, das – nachdem es im Frühwerk darum ging, das Inferiore und Bösartige kühl, aber lustvoll umzulegen – nun eigentlich unauffällige, alltägliche Männer zeigt, die zu Helden werden; sei es aus Unbedarftheit wie in Richard Jewell, sei es aus in sich ruhender Selbstverständlichkeit wie in Scully. In Cry Macho spielt Eastwood, inzwischen 91 Jahre alt, wieder die Hauptrolle, einen gescheiterten Rodeo-Reiter, der auf seine wahrscheinlich letzte Reise geht. Ein Film über das Älterwerden, naturgemäß.
Auch wenn Dramatisches sich ereignet, soll die Struktur der Erzählung in der Tradition, die aus dem klassischen Hollywood-Kino kommt, für Zuschauerin und Zuschauer nicht anfordernd sein. Heinz Emigholz‘ Film Die letzte Stadt ist auf formaler Ebene eine Antithese zum Kino Clint Eastwoods und assoziiert ohne Rücksicht auf konventionelle Erzählformen drauflos. Seine mit allerlei Dingen (Inzest, Krieg, Gewalt) belasteten Figuren wechseln unbeschwert die Rollen. Die letzte Stadt schließt an „Streetscapes [Dialogue]“ von 2017 an: dieselben zwei Charaktere, die ein Gespräch führen, nur jetzt in anderen Rollen und doch irgendwie gleich. „Mit diesem Prinzip der willkürlichen Permutation zwischen Schauspielern, fiktiven Charakteren und Schauplätzen schiebt Emigholz filmischem Abbildrealismus einen Riegel vor“, schreibt epd Film. Was darauf hinausläuft, dass Die letzte Stadt wieder sehr anstrengend und im besten Fall sehr interessant geworden ist.
Noch ein Film über das Älterwerden: In Genderation besucht die Hamburger Filmemacherin Monika Treut gut zwanzig Jahre später die Protagonist:innen ihres 1999 erschienenen Dokumentarfilms Gendernauts, der Transgender in San Francisco porträtierte. Sieht man Gendernauts heute wieder, wird klar, wie sehr der Film damals – wie man so sagt – seiner Zeit voraus war. Heute ist das Thema Transgender eingebunden in einen erbitterten Kulturkampf, in dem es um vieles geht, aber nur selten um das Leben der Leute, die mit ihrer ursprünglichen Geschlechtszuschreibung nicht leben können oder wollen. Monika Treut hingegen lässt die Menschen vor der Kamera einfach erzählen und schafft so den Eindruck einer Normalität, die mit der potenziell repressiven Bedeutungen des Wortes als „das Gängige, Weitverbreitete“ beziehungsweise als Kurzform für „Das haben wir schon immer so gemacht“ nichts mehr zu tun hat. Stattdessen rücken die Individuen mit ihren Wünschen und ihrem Wissen in den Fokus. Löst man sich mithilfe von Treuts Bildern von dem, was nach wie vor als normal gilt, wird spürbar: „Normal“ ist die Welt erst, wenn diese Wünsche realisiert werden können und dieses Wissen anerkannt wird.