Königliches Silvestermenü

Neu im Kino KW 52

Délicieux, 2021, Éric Besnard

Regenbogenfamilie, Restaurantgründung, zerrissene Königin: Neue Kinofilme von Ferzan Ozpetek, Éric Besnard und Charlotte Sieling ergeben ein opulentes Silvestermenü. Ein Überblick von Alexandra Seitz und Roman Scheiber.

„Zwischen den Jahren“ – auch so ein Unfug! Die Tage zählen ja ganz normal weiter und wer gedacht hat, zwischen Weihnachten und Neujahr so allerhand übers Jahr Liegengebliebene endlich aus dem Weg räumen zu können, sieht sich einmal mehr mit der Tatsache konfrontiert, dass es eben doch nur acht Tage sind, die Heiligabend von Silvester trennen, also viel zu wenige. Gehen wir daher lieber ins Kino. Wo allerdings neustartmäßig gesehen nicht viel los ist, weil Spider-Mans Netze noch überall kleben; vergangene Woche hat zudem die Matrix Weihnachten mit Ostern verwechselt und ist unnötigerweise wiederauferstanden und im aktuellen Bond No Time to Die waren vermutlich auch noch nicht alle drin.

Da ist es geradezu als mutig zu bezeichnen, Ferzan Ozpeteks neue Regenbogenfamilienkuddelmuddelkomödie Die Göttin des Glücks (La dea fortuna) zu Silvester ins Rennen zu werfen. Andererseits sind Ozpeteks Figuren im Spektrum eh ganz woanders angesiedelt als die fiesen Spectre-Verbrecher, mit denen Bond sich herumschlagen muss, und der türkisch-italienische Regie-Auteur hat schon des Öfteren an der Kinokasse überrascht – u.a. vor zehn Jahren mit seiner Komödie Mine Vaganti, die in deutschsprachigen Ländern unter dem albernen Titel Männer al dente bekannt wurde. (Wer braucht bissfeste Männer?) In Italien wurde Ozpeteks reifer neuer Film angeblich bereits zum Hit, sein Rezept ist quasi altbewährt: ein ungleiches schwules Pärchen mit Beziehungsproblemen (Edoardo Leo, Stefano Accorsi) wird in eine ungeahnte Betreuungs-Situation geworfen und muss sich auf eine Odyssee begeben, an deren Ende Verständnis und Vergebung warten.

La dea fortuna, 2019, Ferzan Ozpetek

Ebenfalls um ein ungleiches Paar, schon wieder mit einem arg blöden (deutschen Unter-)Titel beworben, geht es in Á la Carte! – Freiheit geht durch den Magen von Éric Besnard. Der Zwischengang unseres Silvestermenüs kommt nun von keinem Geringeren als dem angeblich ersten Restaurantgründer Frankreichs, welcher die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft gegen Ende des 18. Jahrhunderts beglaubigen soll: von einem unterschätzten Koch nämlich (Grégory Gadebois), der vom Adelshof geflogen ist und nun für das Volk kochen will, unter Mithilfe einer geheimnisvollen Frau namens Louise (Isabelle Carré). Die Inszenierung des Essens in Délicieux, so der eh auch verständliche Originaltitel, macht selbstverständlich Gusto auf einen fetten Silvesterbraten.

Délicieux, 2021, Éric Besnard

Womit zwanglos auf den opulenten Hauptgang des Silvestermenüs übergeleitet wäre. Trine Dyrholm gibt der Titelfigur in Charlotte Sielings Die Königin des Nordens (Margrete den første) Gesicht und Gestalt. Wer war Margrete I. von Dänemark? Nach dem Tod ihres Gemahls Håkon VI., seines Zeichens König von Norwegen und Schweden, schickte sie sich an, als Regentin und in Stellvertretung ihres damals fünfjährigen Sohnes Olav, die skandinavischen Länder in der sogenannten Kalmarer Union zu vereinigen. Als aber Olav 1387 im Alter von 17 Jahren verstarb, adoptierte Margrete kurzerhand ihren Großneffen Erich von Pommern und setzte diesen auf den Thron – wo der sodann tat, was sie ihm auftrug. Soweit, so historisch verbürgt. Sieling allerdings erzählt in ihrem Film, so das vorangestellte Insert, „eine Fiktion, von wahren Ereignissen inspiriert“ – und es ist eine wahrhaft finstere und gnadenlose Fiktion.

Die Königin des Nordens, 2021, Charlotte Sieling

Taucht doch just in einer schwierigen Phase der Reichskonsolidierung ein junger Mann auf, der von sich behauptet, der seinerzeit nicht verstorbene sondern vielmehr entführte Olav zu sein, mithin also der eigentliche und rechtmäßige König. Fortan geht es zur Sache, vor allem auf der Ebene des Gefühls: Margrete, die den Mann zunächst nicht, aber vielleicht dann eben doch als ihren Sohn erkennt, ist in höchstem Grade verunsichert; Erich sieht seinen Status bedroht und sich ein weiteres Mal entwurzelt; Olav kann nicht glauben, dass man ihm nicht glaubt; die Hofschranzen und Lehensfürsten wittern im Skandal die Morgenluft des Machtzuwachses. Binnen kurzem hat sich der Rat der drei Reiche in eine Schlangengrube voller Giftnattern verwandelt und Margrete steckt im Zwiespalt zwischen mütterlichem Instinkt, der den Sohn retten will (nur welchen?), und dem drohenden Scheitern ihres ehrgeizigen Lebensplans, der immerhin ein Friedenswerk zum Ziel hat. Sie steht also vor der ewig aktuellen Frage, was schwerer wiegt, das Wohl der Allgemeinheit oder das der Einzelnen.

Und Trine Dyrholm in der Rolle der Regentin bringt den Schmerz, der der Antwort auf diese Frage hier innewohnt, in einer Bravour-Performance zum Ausdruck. In ihren Augen spiegelt sich das Erschrecken über den Preis der Macht, in ihrem Körper das immer tunlichst unauffällige Ringen um Haltung. Geringstmöglicher Aufwand erzielt größtmögliche Wirkung; ein Schauder läuft einem über den Rücken.

In diesem Sinn: Kommen Sie gut ins neue Jahr!