Zwei positive Überraschungen („Belfast“, „King Richard“), eine Albernheit („Studio 666“) und drei gegenwärtige Beispiele innovativen Filmschaffens.
Das vormalige Regie- und Schauspielwunder Kenneth Branagh hatte man mittlerweile ja eher als routinierten Großfilm-Fabrikanten verbucht, da geht der her und dreht mit dem Schwarzweiß-Film Belfast ein allseits (z.B. von der NYT) hochgelobtes, autobiografisch grundiertes, politisch reflektiertes Sittenbild des nordirischen Krisenherdes im Jahr 1969 (und schreibt damit Filmgeschichte: Nicht nur ist Belfast für sieben Oscars nominiert, Branagh ist nunmehr der erste in sieben verschiedenen Oscar-Kategorien nominierte Kreative).
Und während man sich widerwillig damit abgefunden hatte, dass Will Smith sein schauspielerisches Talent zumeist in albernen Stöffchen verplempert, geht der her und liefert in Reinaldo Marcus Greens King Richard das wunderbar kontrastreiche Porträt eines kontroversiellen Charakters: Richard Dove Williams Jr., Trainer-Vater der beiden berühmten Tennis-Schwestern Venus und Serena Williams. Belfast und King Richard – zwei Titel, die breiten Publikumsschichten unterhaltsame, erhellende und bewegende Kinoabende garantieren.
Womit wir unseren geübten Blick in die Schmuddelecke mit den Nischenprodukten richten, in der in dieser Woche ein ganz besonders seltsames Exemplar kreucht und fleucht. Normalerweise sollte einem die Genrebezeichnung „Horrorkomödie“ ja Warnung sein und Grund genug für einen sehr weiten Bogen um den solcherart bezeichneten Film. Aber wir machen eine Ausnahme für Studio 666 von BJ McDonnell, der davon handelt, dass eine Rockband names Foo Fighters (gespielt von den, genau, Foo Fighters) ihr Jubiläumsalbum unter jubilarischen Umständen aufnehmen will. Zu diesem Behufe bezieht sie eine leerstehende Villa in Encino, L.A., in der es einen ganz besonders tollen, trockenen Hall gibt. Allerdings treibt in ihr auch der Schutzpatron des Rock’n’Roll höchstselbst sein sinistres Unwesen. Es dauert nicht lange, da wähnt man sich in einem Frühwerk von Peter Jackson und wohlig-schaurige Erinnerungen an die Hoch-Zeit des Splatter-Films werden wach; die Blut-Pumpen arbeiten auf Hochtouren, John Carpenter, der die Titelmusik beigesteuert hat, schaut auf ein Cameo vorbei und auch ansonsten traut man ob der hier dargebotenen, schlimmen Folgen des Headbangens des öfteren seinen Augen nicht. Zwar kann keiner der Foo Fighters wirklich überzeugend schauspielen, aber alle geben ihr Bestes und regelrecht rührend ist dieses Laientheater immer dann, wenn sie mal wieder kreischend vor den Gespenstern davonrennen. Wer am Kino den Schwachsinn liebt, ist in Studio 666 demnach bestens aufgehoben und kann damit zugleich die Wartezeit bis zum nächsten Eintrag ins Kapitel „befremdliches Treiben älterer Herren“ überbrücken: Jackass Forever startet am 10. März.
Schluss mit den Albernheiten. Mit Saf von Ali Vatansever, Trübe Wolken von Christian Schäfer und El Fulgor von Martín Farina steuern die Türkei, Deutschland und Argentinien irrlichternd irritierende Beispiele innovativen Filmschaffens der Gegenwart zur dieswöchentlichen Auswahl bei.
Entlang der Brecht‘schen Binsenweisheit „erst kommt das Fressen und dann die Moral“ nimmt sich Vatansever in Saf die „urbane Erneuerung“ in Istanbul vor, im Zuge derer sich riesige Baustellen durch ärmliche Uraltviertel fressen – hier: Fikirtepe auf der asiatischen Seite –, Häuser durch Türme und die Bewohner gleich mit ersetzt werden. Kamil ist eine gute Seele, er hat Prinzipien, aber keine Arbeit, seine eher pragmatische Frau Remziye setzt ihm zu, weil sie endlich ein Kind will. Also verdingt Kamil sich auf der Baustelle und ersetzt dort einen billigen, syrischen Flüchtling, was zu Verwerfungen mit den Kollegen führt, bei denen es nicht bleibt. Niemand kommt in diesem stillen Lehrstück ungeschoren davon, doch die allgemeine Korrosion der Werte trifft die Mittel- und die Heimatlosen am Schwersten. Vier Jahre habe es gedauert, den Film zu schreiben, sagt Vatansever, und: „Ich war selbst Zeuge all dieser radikalen Veränderungen. Es ist nicht nur die Geografie, die sich verändert, sondern auch das Leben der Menschen. Die grundlegende Frage war: Wie kann man an einem so schwierigen Ort menschlich bleiben, wenn man von Monstern umgeben ist?“
Trübe Wolken, angesiedelt irgendwo im hessischen Hinterland, ist ein erstaunliches Beispiel für die Beunruhigung, die sich aus einem gegenüber narrativen Konventionen leicht verschobenen Inszenierungsstil ergeben kann. Nach einem Drehbuch von Glenn Büsing erzählt Schäfer vom 17-jährigen Paul, vom Teenager-Ennui, vom Einbruch des Verbrechens ins langweilige Kleinstadtleben, von Stillstand und Qual. Er tut dies auf eine Art und Weise, die immer irgendwie ein bisschen „daneben“ wirkt: Dialoge, Handlungen, Charaktere liegen leicht schief zu den Erwartungen, wie eine Folie über dem Eigentlichen. Solcherart einerseits einen Raum der Unschärfe kreierend, zum anderen aber auch einen der Erkenntnis.
Auch nicht leichter macht es einem El Fulgor, der sich vielleicht noch am ehesten als lyrischer Essayfilm beschreiben lässt und in dem Farina die Vorbereitungen junger Männer auf den Karneval mit der Arbeit von Gauchos im argentinischen Hinterland ineinanderflicht. Womit er zugleich die Drag-Queen und den Macho aufeinander prallen lässt. Die vom Filmemacher selbst geschriebene Musik verleiht den dokumentarischen Bildern spezielle dramatische Kraft. Bis schließlich aus dieser durchaus sperrigen Ansammlung von Sinneseindrücken in Farbe und Schwarzweiß eine rohe, urtümliche, rituelle, rauschhafte Energie sich schält und anschickt, alles zu verschlingen.