Im Norden viel Neues

Neu im Kino KW 39 (DE)

Herbig, Tausend Zeilen
Tausend Zeilen, 2022, Bully Herbig

Tausend Zeilen und ein Grinsen; im Westen nichts, aber sonst viel Neues: die Schule der magischen Kinovorschau. Gefiltert aus zwanzig (!) Neustarts von Benjamin Moldenhauer.

Das Heldentum als Hölle: Erich Maria Remarque hat den Schrecken des Ersten Weltkrieges mit seinem Roman „Im Westen nichts Neues“ (1928), einem der ersten weltweiten Bestseller, ein noch immer beeindruckendes literarisches Denkmal gesetzt. Verfilmt wurde das Buch in Deutschland bislang nicht, erstaunlicherweise. Jetzt ist es soweit: Die Netflix-Produktion Im Westen nichts Neues (Regie: Edward Berger) läuft diese Woche in einigen Kinos und in ein paar Wochen dann im Stream. Der Deutschlandfunk sah „nichts als Gram, Schuld und Horror“, die Frankfurter Allgemeine jubilierte: „Besser kann der deutsche Film nicht sein“. Tatsächlich wirkt das alles im Vorfeld so erwartbar wie vielversprechend: Verlässlich gute Schauspieler wie Daniel Brühl und Albrecht Schuch, aber auch (auf der Leinwand) neue Gesichter wie der Burgtheater-Schauspieler Felix Kammerer leiden im Schützengraben und robben durch den Dreck (Brühl leidet allerdings eher am Verhandlungstisch). Der Trailer verspricht eine immersive Kriegsfilminszenierung, die auf Überwältigung setzt und dabei nicht so weit geht wie das ewige Vorbild Der Soldat James Ryan, aber doch darauf abzielt, spürbar werden zu lassen, was der Krieg zuallererst ist: Terror und Elend eben. Die Nazis wussten schon, warum sie 1930 versucht haben, die Kinovorführungen der ersten Verfilmung von Remarques Roman zu stören und zu verhindern.

Tausend Zeilen, Journalismus als Farce: 2018 machte der Spiegel-Journalist Claas Relotius selbst Schlagzeilen, nachdem rausgekommen war, dass weite und zentrale Passagen seiner preisgekrönten Reportagen recht freihändig erfunden waren. Das Geschrei war groß, wer gerne von „Lügenpresse“ redete, sah sich bestätigt, und die Spiegel-Redaktion fuhr einiges an rhetorischem und an Recherche-Aufwand auf, um das ramponierte Image wieder herzustellen. Auf jeden Fall eine leinwandtaugliche Geschichte, die Regisseur Michael Bully Herbig unter dem Titel Tausend Zeilen dann auch nur vier Jahre nach der Aufdeckung des Skandals in die Kinos bringt. Das Ganze eignet sich auch deswegen ganz ausgezeichnet als Vorlage für jedes Drehbuchseminar, weil es zwei klar definierte Antipoden gibt. Relotius‘ kreativer Eigenbeitrag wurde von seinem Kollegen Juan Moreno enttarnt, der mit seinem Verdacht bei der Redaktion, die ihren Starjournalisten verteidigte, zuerst nicht durchdrang. Tausend Zeilen erzählt diese Geschichte nun als Komödie, und das ist ja auch so abwegig nicht; ein peinliches Fegefeuer der Eitelkeiten war die ganze Affäre nicht zuletzt. Und der Film arbeitet das Geschehen ordentlich ab – allerdings ohne einen Blick auf den Journalismus und seine Mechanismen zu entwickeln, der etwas anderes zu fassen kriegen würde als die charakterlich bedingte Verfehlung eines Einzelnen.

Film als Härtetest: Wenn er hält, was der Trailer und die ersten Kritiken versprechen, könnte Smile ein Klassiker des Horrorfilms werden. Der Plot ist nicht originell, sondern schließt an jüngere Genre-Klassiker an: Wie in It Follows oder auch in Ringu werden die Figuren in Smile von einer Art Fluch verfolgt, den sie untereinander weitergeben. Wer infiziert ist, sieht schrecklich grinsende Gesichter und ist bald darauf tot. Was erstmal nicht sonderlich spektakulär ist. Aber die Terror-Ästhetik, die Parker Finn in seinem Regiedebüt auffährt, hat es in sich. Zumal der Film sich nicht auf Jump Scares und Ähnlichem ausruht, sondern reichlich Energie darauf verwendet zu zeigen, wie die Welt der Figuren ins vorgeblich Wahnhafte abdriftet. Der Filmkritiker Jochen Werner sah in Smile den vielleicht „elegantesten, mit ziemlicher Sicherheit aber einen der unheimlichsten Horrorfilme seit Jahren“. Und da könnte er Recht haben (seine Kritik bei Filmstarts).

Eine andere Art von Horror (aber auch vieles andere, Glück, Trauer) beschreiben die Monologe in Carolin Schmitz Dokumentarfilm Mutter. Acht Frauen hat die Regisseurin über ihre Mutterschaft interviewt und die Interviews zu einem einzigen Text montiert, der von Anke Engelke im Playback-Modus verkörpert wird, und das ziemlich gut.

Geradezu nostalgisch stimmt einen die Vorstellung, Quentin Tarantinos in mancherlei Hinsicht (und in anderen Hinsichten wieder nicht) besten Film noch einmal im Kino sehen zu können. Reservoir Dogs ist eine Gewaltorgie, aber so elegant und weitschweifig erzählt, dass sie ungeheuer leichtfüßig und energiegeladen wirkt und gar nicht stumpf.

Ein drastischer Schnitt zum Kinderfilm der Woche: Die Schule der magischen Tiere 2 geht auf Nummer sicher, Bestseller-Verfilmung, sprechende Tiere und charmante singende Jungdarsteller:innen. Wenn man das Ganze als schon etwas älterer Zuschauer als leider doch etwas dreistes Harry-Potter-Rip-off sieht, verliert auch der zweite Teil allerdings etwas an Glanz.