Late Night with the Devil

Heimelig unheimliches Talkshow-Horror-Hybrid – im Kino

cairnes brothers, late night with the devil, 2023
Late Night with the Devil, 2023, Cameron Cairnes, Colin Cairnes

Late Night with the Devil”: The Cairnes Brothers aus Down Under metastasieren eine Seventies-Talkshow mit übersinnlichen Phänomenen.

„Was Sie nun sehen werden, sind die wiederentdeckten Original-Aufnahmen dessen, was sich seinerzeit zugetragen hat.“ Schon beginnt die Zuschauerin zu gähnen, denn die Masche mit den „wiederentdeckten Original-Aufnahmen“ hatte sich im Nachgang von The Blair Witch Project (1999, Daniel Myrick, Eduardo Sánchez), als in zahllosen Wackelbild-Filmen unter Gekreisch sich Mini-Scheinwerfer in eine mit Grauen gefüllte Finsternis bohrten, zügig totgelaufen. Allerdings, und damit darf aufgeatmet werden, liegt der Fall hier etwas anders. Insofern nämlich, als es sich bei den zum Einsatz kommenden „Original-Aufnahmen“ um das angebliche Tape einer Fernsehsendung aus dem Jahr 1977 handelt, ein gewisser professioneller Mindeststandard in Sachen Bildgestaltung somit gegeben ist.

Als formal anregend erweisen sich außerdem die Wechsel zwischen im TV-Format 4:3 gedrehten Show-Segmenten in Farbe und schwarzweißen on-set & off-air Clips in verschiedenen Breitwandformaten, die (angeblich) während der Werbepausen jener in Rede stehenden Show entstanden sind. Eingeleitet wird Late Night with the Devil zudem mit einer knapp achtminütigen Sequenz, in der uns im Stil des History Channel der Werdegang unseres Gastgebers für den heutigen (ausgerechnet Halloween-)Abend vorgestellt wird. Und los geht’s!

Cairnes, Dastmalchian, 2024 Late Night with the Devil
David Dastmalchian

Um seine Quoten steht es nicht zum Besten; hartnäckig bleibt Moderator Jack Delroy mit seiner spätabendlichen Talk-Show „Night Owls“ gegenüber dem New Yorker Platzhirschen Johnny Carson auf dem zweiten Platz; nicht wenige sind der Meinung, Delroy hätte nach dem (medial weidlich ausgeschlachteten) Tod seiner Frau doch lieber das Handtuch werfen sollen. Außerdem ist gerade „Sweeps Week“, ausgerechnet jener Zeitraum also, in dem die Einschaltquoten von den Senderverantwortlichen kritischer Betrachtung unterzogen werden und über zukünftiges Wohl und Wehe einer Show entschieden wird. Dergestalt unter Druck ist man dann vielleicht doch etwas risikobereiter als normalerweise. Lässt sich womöglich ein auf etwas, vor dem alle warnen. Hört nicht auf das mulmige Gefühl im Bauch und die Alarmsirene im Kopf, geht einen Schritt weiter als vernünftig wäre – und findet sich wieder in einer Late Night with the Devil. So passiert es also Delroy, der den mythischen Halloween-Abend für eine Sendung über, na klar, übersinnliche Phänomene nutzt. Er lädt ein Medium, einen Skeptiker, eine Parapsychologin sowie die Überlebende eines Satanskults ein, verspricht spannende Unterhaltung und muss schon nach wenigen Minuten feststellen, dass er sich in der Liga vertan hat.

Vom gemütlichen Sessel aus verfolgt das geneigte Publikum sodann den Kampf des armen Wichts, seines Teams und seiner Gäste zunächst um den Verstand und schließlich ums Leben – und ist gefesselt vom Wendungs- und Einfallsreichtum der Handlung, bestürzt von der Gnadenlosigkeit des Verlaufs, erfreut über den gelungenen Genre-Beitrag. Nur, wer zeigt uns eigentlich diese „wiederentdeckten Original-Aufnahmen“? Dürfen wir wirklich aufatmen am Ende? Oder hat es nicht vielmehr der Teufel durch die vierte Wand geschafft? Sie sind hiermit gewarnt.

Verantwortlich für diesen neuen Horror-Geniestreich aus Down Under sind „The Cairnes Brothers“, die in Melbourne beheimateten Drehbuchautoren und Regisseure Colin und Cameron Cairnes. 2012 legten sie mit der ökonomischen Horrorkomödie 100 Bloody Acres ein vielbeachtetes Debüt und einen Beitrag zum spezifisch australischen Outback-Horror vor. 2016 folgte mit Scare Campaign, neuerlich nach eigenem Drehbuch inszeniert, eine (Vor-)Übung im Meta-Ebenen-Horror: ein TV-Team, das Leute erschreckt, indem es ihnen unheimliche Szenarien vorspielt, sieht sich alsbald selbst zur Zielscheibe des Schreckens gemacht. Die Idee zu Late Night with the Devil verdankt sich, so die Filmemacher-Brüder, einer langjährigen Faszination: „In the ’70s and ’80s there was something slightly dangerous about late-night TV. Talk shows in particular were a window into some strange adult world. We thought combining that charged, live-to-air atmosphere with the supernatural could make for a uniquely frightening film experience.“ Der Gedanke ist auch in unseren Breiten nicht abwegig, ruft man sich beispielsweise die sagenumwobene, rauchgeschwängerte ORF-Diskussionssendung „Club 2“ in Erinnerung; insbesondere jenen denkwürdigen Abend, an dem Nina Hagen zur Masturbations-Lektion anhob. Teuflische Lust – auch eine Art, den Kopf zu verlieren.

 

Late Night with the Devil
Australien/USA 2023, Regie Cameron Cairnes, Colin Cairnes
Mit David Dastmalchian, Laura Gordon, Ingrid Torelli, Ian Bliss
Laufzeit 93 Minuten