Todesmut

Brennend aktuell: „Holy Spider“ – im Kino

Abbasi, Holy Spider
Holy Spider, 2022, Ali Abbasi

„Holy Spider“ von Ali Abbasi: Die Misogynie des iranischen Fundamentalismus in Form einer plastischen Serienkiller-Studie. Jetzt auch in Österreich im Kino.

„Er hat in weniger als zwei Stunden eine sittenlose Frau beseitigt.“ Mit unverhohlener Bewunderung spricht der Sohn den Satz in die Kamera eines Fernsehteams; stolz beschreibt er „das Werk“ seines Vaters und das Blut will einem in den Adern gefrieren.

Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen, von todesmutigen Frauen angeführten Aufstände im Iran gewinnt Ali Abbasis Holy Spider – uraufgeführt im vergangenen Jahr im Wettbewerb der Filmfestpiele in Cannes – eine Aktualität, die brennend zu nennen eine schamlose Untertreibung ist. Dabei trugen sich die Ereignisse, auf denen der Film beruht, bereits Anfang der Jahrtausendwende zu: In den Jahren 2000 und 2001 ermordete der Bauingenieur Saeed Hanaei in Maschhad 16 Prostituierte; nach seiner Verhaftung verteidigte er seine Verbrechen als „heilige Arbeit“, er habe die Stadt vor moralischem Verfall bewahren wollen. In dem Zusammenhang ist es hilfreich zu wissen, dass Maschhad, die zweitgrößte Stadt Irans, zu den sieben heiligen Stätten des schiitischen Islam zählt, weil sich in ihr mit dem Imam-Reza-Schrein die Grabstätte eines bedeutenden Religionsgelehrten befindet.

Abbasi, Holy Spider

Huren, noch dazu drogensüchtige, passen schlecht ins (Selbst-)Bild einer Pilgerstadt; man(n) möchte nicht an die eigene Fehlbarkeit, an das schwache Fleisch respektive Geschlecht – das eigene sowie das schwache sowie die Verquickung der beiden – erinnert werden. Die Verführung muss eliminiert, muss ausgemerzt werden, schließlich ist sie selbst schuld daran, die Frau, die verführerische, was muss sie einen auch verführen. Ja, wir kennen die tautologisch-idiotischen Begründungen für die Tilgung der Frau aus dem öffentlichen Raum zur Genüge. Ja, wir haben sie gehört bis zum Erbrechen. Sie werden davon weder richtig noch wahr.

Und weil wir wissen, was auf dem Spiel steht – einmal mehr aus konkreter Anschauung heutiger, faktischer Gegebenheiten; es ist zum Heulen, dies hinschreiben zu müssen –, wird uns auch sogleich mulmig, als die Journalistin Rahimi, die Heldin von Holy Spider, alleine aus Teheran kommend mit nachlässig gebundenem Kopftuch in Maschhad ein Taxi besteigt und zu einem Hotel gefahren werden will. Erst stellt der Taxifahrer übergriffige Fragen, dann der Typ an der Hotelrezeption, dann der in den Mordfällen lustlos herumermittelnde Kommissar, und so immer weiter. Doch Rahimi lässt sich den Mund nicht verbieten und die Butter nicht vom Brot nehmen. Und sie lässt auch nicht locker; sie will es nicht mehr länger hinnehmen, dass Prostituierte ermordet werden und die Obrigkeit nichts dagegen unternimmt. Sie stichelt und nervt, testet Grenzen und Geduld, fordert das Unerhörte, nämlich Gerechtigkeit für Nutten, die erstens nur Frauen und zweitens sittenlos sind.

Obwohl Rahimi nur über einen relativ geringen Manövrier-Spielraum verfügt, obwohl sie in einem schwarzen Sack herumlaufen muss, nicht für voll genommen wird und permanent verwundbar ist, so ist sie doch eine veritable Heldin und ihr Mut bewundernswert. In diesem Kontext ist es denn auch nicht die uninteressanteste Frage, wie das (westliche) männliche Publikum mit der Herausforderung von Holy Spider klar kommt, eine derart unmissverständlich als unterlegen gezeichnete Figur zur Identifikation angeboten zu bekommen.

Schonungslos und klarsichtig zeigt Abbasi – 1981 in Teheran geboren, 2002 zunächst nach Schweden emigriert und inzwischen in Dänemark beheimatet – die Misogynie und Bigotterie des religiösen Fundamentalismus, der die Menschen im Iran schon viel zu lange im Würgegriff hält. Die Mordtaten schildert er in ans Grausame grenzender Ausführlichkeit, die Verblendung des Täters nimmt er nüchtern zur Kenntnis. Ebenso die Unterstützung, die der selbsternannte Tugendwächter erfährt, nachdem er gefasst wurde, sowie die mehr oder minder unverhohlene Sympathie der staatlichen Organe. Abbasi liefert sozusagen den Fiktions-Kommentar zu Va ankaboot amad (And Along Came A Spider), jenem Dokumentarfilm aus dem Jahr 2003, den der mittlerweile im Exil lebende Journalist, Filmemacher und Menschenrechtsaktivist Maziar Bahari über den Fall gedreht hat, und füllt die Leerstellen, die dieser naturgemäß/notgedrungen stehen lassen musste. Holy Spider gleicht demnach nicht so sehr einem Genrefilm als vielmehr einem sachlichen Bericht – jener Arbeit, die einer Anklageschrift vorauszugehen hat, welche sich nun im zuschauerlichen Gehirn quasi wie von selbst zusammensetzt; so er/sie es denn aushält.

In der Rolle Rahimis brennt Zar Amir Ebrahimi (wie Abbasi 1981 in Teheran geboren) Löcher in die Leinwand und wurde dafür in Cannes mit dem Preis für die Beste Schauspielerin ausgezeichnet; seit 2008 lebt Ebrahimi in Frankreich, nachdem ein geleaktes Sextape ihre Schauspielkarriere im Iran beendet und ihr eine Verurteilung (in Abwesenheit) zu 99 Peitschenhieben und zehn Jahren Berufsverbot eingebracht hatte. Das ist so irre, dass man gerne darüber lachen würde … wüsste frau nicht um die Konsequenzen.

 

Holy Spider
DK/DE/SE u.a. 2022, Regie Ali Abbasi
Mit Mehdi Bajestani, Zar Amir Ebrahimi, Arash Ashtiani, Forouzan Jamshidnejad
Laufzeit 116 Minuten