Schuld ohne Sühne

Thomas Roth erzählt in „Schächten“ eine spannende Rache- vs. Recht-Geschichte.

Roth, Schächten
Schächten, 2022, Thomas Roth

„Schächten“: Paulus Manker spielt einen Nazi in Nachkriegsösterreich, der von einem jüdischen Unternehmersohn drangsaliert wird, weil die österreichische Justiz versagt.

Der Psychoanalytiker und ehemalige KZ-Häftling Bruno Bettelheim hat während der Kontroverse um Hannah Arendts Buch „Eichmann in Jerusalem“ eine Idee formuliert, wie man mit Adolf Eichmann, bei allen juristischen und eventuellen moralischen Problemen und Dilemmata, hätte umgehen können. Nicht ein Gericht hätte ihn zum Tode verurteilen, sondern ein Mensch hätte ihn umbringen sollen. Und diesem Menschen, Eichmanns Mörder, hätte man dann den Prozess machen sollen, um so alles, was im Zuge des tatsächlichen Prozesses gegen Adolf Eichmann ans Licht der Öffentlichkeit kam, zu bearbeiten.

Das ist eine interessante und plausible Überlegung, weil sie das angeblich Irrationale der persönlichen Rache und das angeblich Objektive der staatlichen Rechtsprechung umgeht, indem sie das eine im anderen aufhebt. Bettelheim ist davon ausgegangen, dass die Strafe des Mörders von Adolf Eichmann gering ausgefallen wäre. Seine hypothetische Konstruktion erlaubt ein Nachdenken über Schuld und Sühne und Rechtsprechung, dass sozusagen zwischen beiden Polen – Recht und Rache – seinen Ausgang nimmt.

Regisseur und Drehbuchautor Thomas Roth erzählt in seinem neuen Film Schächten ebenfalls eine Rache- vs. Recht-Geschichte. Allerdings unter anderen Voraussetzungen. Hier ist der Staat, der Recht spricht, kein zionistischer Staat, dessen historischer Hauptzweck es ist, eine Heimstätte für die Verfolgten und die Überlebenden zu sein, sondern ein postfaschistischer, nämlich das Österreich der Sechziger- und Siebzigerjahre. Und die Justiz denkt hier gar nicht daran, die Nazis zu verurteilen, die längst wieder (oder besser: immer noch) etabliert und angesehen sind.

Roth, Schächten
Jeff Wilbusch, Miriam Fussenegger

Victor Dessauer (Jeff Wilbusch) geht gemeinsam mit seinen Freunden, seinem Vater, einem Holocaust-Überlebenden, und Simon Wiesenthal (Christian Berkel) juristisch gegen den früheren SS-Mann Kurt Gogl (Paulus Manker) vor, der inzwischen unter falschem Namen am Wolfgangsee lebt. Als Kind hat Viktor, so will es das Drehbuch, dem Nazi bei der Arbeit zusehen müssen und schleppt seitdem traumatische Erinnerungen mit. Alle juristischen Anstrengungen laufen ins Leere, das österreichische Täterkollektiv schützt sich gegenseitig und kann auf Staatsanwaltschaft, Richter und Polizei zählen, beziehungsweise stellt es die Beamten gleich selbst. Viktor hat irgendwann genug und ersinnt Rachepläne.

Roth hat im Breitwandformat gefilmt und nutzt die Leinwandfläche insbesondere bei den Außenaufnahmen für wirkungsvolle Bilder: Eislandschaften in einer vollkommen vergletscherten Gesellschaft, in der Kindermörder Volksschulleiter sein können. Wenn Paulus Manker zum Beispiel brütend am Fenster steht und in die Eislandschaft schaut, während seine Klasse singt („Ich möcht‘ am liebsten sterben / Dann wär‘s auf einmal still“), gehört das zu den stärkeren Momenten des Films. Und generell ist es gut und richtig, über die Geschichte des NS und des Postfaschismus Rachegeschichten zu erzählen, die eben immer auch Geschichten einer Selbstermächtigung sind (eine Selbstermächtigung, die beim realen Vorbild des Falls, den beiden Prozessen gegen den SS-Mann Johann Vinzenz Gogl, ausgeblieben ist; Gogl wurde freigesprochen).

Zuweilen hinterlässt Schächten den Eindruck, als würden seine Figuren wie unter Glas agieren. Manche Sätze und Formulierungen wirken wie vorgestanzt: „In Wahrheit waren wir die Opfer“, „Die Zeiten waren damals so“, „Gnade der späten Geburt“. Was dem Geschehen auch etwas Theaterhaftes verleiht. Alles muss ausgesprochen werden, so als würde der Film seinen eigentlich ja starken Bildern nicht trauen. Einerseits. Andererseits zeichnet sich der postfaschistische Relativierungsrausch sprachlich tatsächlich nicht durch Originalität aus, und vielleicht bildet die Steifheit der Performance die affektive Verstopftheit, die nun einmal entsteht, wenn Menschen vor anderen verleugnen, was sie wirklich sind und was sie getan haben, doch ganz gut ab. Es hängt dann von der Perspektive von Zuschauerin und Zuschauer ab, ob man den Duktus des Films als (zu) didaktisch und erklärend oder als adäquat wahrnimmt.

Paulus Manker wiederum entfaltet als österreichisches Spießbürgermonster eine ziemliche Präsenz, in der die Banalität das Grausame nicht erschlägt und das Grausame nicht die Banalität. Wie Schächten überhaupt dann am stärksten ist, wenn er das Nachkriegsösterreich als oberflächenglatten Terrorzusammenhang skizziert, in dem man eigentlich, auch wenn man den Kampf gegen diese Leute aufnimmt und ihn sehr weit treibt, irgendwann nur noch in die zivilisierte Welt, in diesem Fall nach New York, fliehen kann.

 

Schächten
Österreich 2022, Regie Thomas Roth
Mit Jeff Wilbusch, Paulus Manker, Christian Berkel, Miriam Fussenegger
Laufzeit 110 Minuten