Nightwatch: Demons are forever

Spätes Sequel des dänischen Überraschungshits von 1994 – im Kino

Bornedal, Nightwatch: Demons are forever, Nattevagten - Dæmoner går i arv
Nightwatch: Demons are forever, 2023, Ole Bornedal

„Nightwatch: Demons are forever“: Ole Bornedals Fortsetzung seines markanten Serienmörderthriller-Debüts versprüht bezaubernden Neunzigerjahre-Retro-Charme.

Die Neunzigerjahre waren eigentlich eine ganz gute Zeit für Serienmörder, zumindest auf der Leinwand. Im Gefolge von Das Schweigen der Lämmer und Sieben fielen zahlreiche sinistre Gestörte in die Kinos ein und meuchelten, meist Frauen, im Akkord. Meist verbunden mit einem kompliziert-mythologischen Muster, das ein FBI-Mensch aufdröseln musste. Ein weiteres Merkmal der kleinen Welle an Neunzigerjahreserienmörderfilmen war die Überdrehtheit. Die Psychopathen waren dämonisch oder bizarr, oft erschienen sie als geradezu übermenschliche Figuren mit quasi-religiösem Auftrag oder zumindest sehr besonderen Obsessionen. Rip-offs wie Denn zum Küssen sind sie da oder Copykill sind auch im Rückblick nicht sonderlich ruhmreich, aber doch sehr unterhaltsam. Auch wenn all diese Filme zur Mythologisierung eigentlich banaler Gewalt in unguter Weise beigetragen haben.

Einer der bemerkenswerteren Filme damals war keine US-amerikanische, sondern eine dänische Produktion. Ole Bornedals Regiedebüt Nightwatch kam 1994 in die Kinos und war erst einmal nicht viel mehr als der damals gängige Serial-Killer-Thriller: ein Whodunit-Plot, eine Psychopathen-Parade sondergleichen und abenteuerliche Plotvolten, deren Plausibilisierung vom sehr guten Cast gestemmt werden musste, der in dieser Hinsicht vom Drehbuch weitgehend alleingelassen wurde. Wenn man es den Schauspieler:innen nicht abnahm, glaubte man das alles gar nicht, und es wirkte unfreiwillig komisch, verstärkt durch die bewusst komödiantischen Untertöne des Films. Wer die gewagten Plottwists und das furios übersteuerte Finale von Nightwatch aber mitging, bekam einen latent überdrehten Thriller mit latenten Kink-Untertönen (Sex in der Leichenhalle) und einem misogynen Subtext, bei dem nicht ganz klar war, ob er affirmativ gedacht war oder kritisch.

Zumindest beim letzteren Punkt schafft Bornedals spätes, unerwartetes und wohl auch von niemanden wirklich vermisstes Sequel Nightwatch: Demons are forever Klarheit, indem es den männlichen Helden des ersten Films durch eine Heldin ersetzt. Wobei ersterer immer noch durch die Szenerie schleicht. Martin (Nikolaj Coster-Waldau) ist von den damaligen Ereignissen auch dreißig Jahre später noch schwerst traumatisiert. Die Hauptrolle aber spielt jetzt seine Tochter Emma (gespielt von der Tochter des Regisseurs, Fanny Leander Bornedal). Und wie es sich für eine Traumageschichte gehört, wird erst einmal Wesentliches wiederholt, zwanghaft: Emma studiert Medizin, wie ihr Vater, und übernimmt den Nachtwächterjob in derselben Leichenhalle wie er. Um es dann auch schnell mit demselben Serienmörder zu tun zu bekommen, dem nekrophilen Psychopathen Wörmer (Ulf Pilgaard).

Der hatte 1994 Emmas Mutter und ihren Vater in der Leichenhalle zu zersägen versucht. Inzwischen sitzt er in einer psychiatrischen Klinik. Emma macht sich auf die Suche, um das Trauma zu verstehen und aufzudecken. Und stößt damit eine neue Mordserie an. Wörmer aber kann nicht der Täter sein, weil er eben in der Geschlossenen sitzt und außerdem erblindet ist.

Soweit die an sich schon etwas gewagte Ausgangslage, die das Skript von Bornedal dann immer weiter ins Unplausible treibt. Man kann die Auflösung und den Weg dahin nicht zusammenfassen, ohne massiv zu spoilern. Aber wo der erste Nightwatch-Film die Grenze des innerhalb der Genrekoordinaten Plausiblen nicht verletzte, überschreitet das Sequel sie immer wieder mit Karacho.

Was man nicht unbedingt gegen den Film wenden muss. Die Übersteuerung des Plotverlaufs findet ihre Entsprechung in der Freakshow auf der Leinwand. Psychopathen reiben sich hier noch mit Blut ein, donnern ihren Kopf gegen Sicherheitsglas und lachen ununterbrochen irre. Auch in dieser Hinsicht versprüht Nightwatch: Demons are forever einen recht bezaubernden Neunzigerjahre-Retro-Charme.

Ein guter Film im engeren Sinne ist Nightwatch: Demons are forever also nicht geworden. Aber langweilig ist er zu keiner Minute, immer ist was los. Das Finale endet im Vergleich zum ersten Teil dann etwas abrupt. Damals musste sich noch einer selbst den Daumen absägen, um den Killer zu erlegen. Heute genügt eine kurze Schießerei mit Gekreisch. Bis dahin aber herrscht auf der Leinwand unterhaltsamer Exzess.

 

Nightwatch: Demons are Forever / Nattevagten – Dæmoner går i arv
Dänemark 2023, Regie und Drehbuch Ole Bornedal
Mit Fanny Leander Bornedal, Alex Høgh-Andersen, Nikolaj Coster-Waldau, Sofie Gråbøl, Kim Bodnia, Ulf Pilgaard
Laufzeit 110 Minuten