Lost and Found

Lernen zu verzeihen: „Broker“ von Koreeda Hirokazu – im Kino

Koreeda, Broker
Broker, 2022, Koreeda Hirokazu

„Broker“: Die humanistischen (Patchwork-)Familienfilme von Koreeda Hirokazu verstehen es, in das Leben ihrer Figuren hineinzuziehen. Jetzt in AT und DE im Kino.

Die Filme von Hirokazu Koreeda sind in ihrem Kern zumeist Familienfilme. „Nobody Knows“, „Like Father, like Son“, „Unsere kleine Schwester“, „Shoplifters“ – alles Erzählungen, in denen auf unterschiedlich dramatischen Graden versprengte Menschen sich zu Patchwork-Familien zusammenfinden. Ich kennen keinen Filmemacher, der mit einer derartigen Wärme und ohne jeden erkennbaren Impuls zu richten auf seine Figuren schaut. Koreeda blickt auf seine immer etwas schief in die Welt gestellten Menschen in einer Weise, die das Gewicht von ihren Schultern nimmt, ohne das, was sie beschäftigt oder auch quält zu bagatellisieren. Man schaut, anders als sonst häufig auch in ambitioniert sozialrealistischen Filmen, nicht von oben herab. Und wird stattdessen in das Leben der Figuren hineingenommen.

Die Geschichten um die Leben in „Broker“ sind Geschichten von Verlust und Verlassenwerden. Und von den zarten, spontanen Versuchen, wieder neue Formen zu finden. Die junge Mutter Su-jin (Bae Doona) stellt ihr ungeplantes Kind vor einer Kirche in Busan ab, damit es in der Babyklappe landet („Broker“ ist der erste Film Koreedas, der in Südkorea spielt). Sie wird von zwei Polizistinnen observiert, die einen Kinderhändlerring ausheben wollen. Der ist allerdings nicht gut organisiert, sondern besteht aus nur zwei Männern, typischen Koreeda-Figuren: Ha Sang-hyun (Song Kang-ho) ist hochverschuldet und kämpft um den Kontakt zu seiner Tochter, die in Seoul lebt. Gang Dong-won (Dong-soo) wurde als Kind selbst weggegeben. Diese Verlassen- und Verlorenheit artikuliert sich hier aber nicht in bleierner Schwere und auch nicht in emsigem Stehaufmännchentum. Alle machen, was sie können, ohne großes Drama.

Aber nicht alle können, was sie machen. Zusammen mit einem Adoptivkind und der Mutter, die das Kind nun auch selbst verkaufen will, und einem weiteren Waisenhauskind, das niemand adoptieren will, fahren Ha Sang-hyun und Gang Dong-won durchs Land, auf der Suche nach einem Käufer. „Broker“ stellt ein weiteres Mal eine Patchwork-Familie ins Zentrum, in der sich Verlorene zusammenfinden und dann miteinander klarkommen müssen; und erstaunlich gut miteinander klarkommen. Das ist im Falle von „Broker“ allerdings nicht leicht, weil materielles Interesse sich mit dem ganzen Komplex um das verlassene Kind und die eigene Verlassenheit vermischt.

„Broker“ ist, nicht zuletzt, ein Film, der sich jeder Genrelogik entzieht, auch wenn er Versatzstücke antippt: die Familienkomödie, das Roadmovie, den Gangsterfilm. Was dann noch übrig bleibt, ist im Kino erstaunlich selten zu sehen. Vielleicht, weil es das Einfache ist, das schwer zu machen ist.

Hirokazu Koreeda hält seinen Film mit einer fast ungeheuerlichen Präzision sanft in der Schwebe. Der Blick ist nahezu schüchtern, „Broker“ will seinem Publikum und seinen Figuren spürbar nicht zu nahe treten und geht trotzdem tiefer. Spätestens in seiner zweiten Hälfte, in der das Thema Verlassenwerden sich mit dem Motiv Verzeihen verbindet. Wenn schon Genre, dann lässt sich das filmische Werk von Hirokazu Koreeda vielleicht einfach der praktischen Philosophie zuordnen. Man kann mit diesen Filmen lernen zu verzeihen.

Mit der Ambivalenz, in die Zuschauerin und Zuschauer in „Broker“ sanft gestoßen werden, entsteht Komplexität. Koreeda Hirokazu schenkt uns trotzdem eine Art Happy End, das aber wiederum nicht unterkomplex wirkt. Schon weil nicht alle heil rauskommen. Auch wenn es schwerfällt, ohne Rückgriff auf Klischees über diesen Film zu schreiben: Man findet nicht ein Klischee in diesen warmen, spröden Bildern.

 

Broker
Südkorea 2022, Regie Hirokazu Koreeda
Mit Song Kang-ho, Bae Doona, Gang Dong-won
Laufzeit 129 Minuten