Der Heimkehrer

Verbrechen und Sehnsucht: „Nostalgia“ – im Kino

Martone, Nostalgia
Nostalgia, 2022, Mario Martone

„Nostalgia“: Regie-Routinier Mario Martone lässt seinen Helden nach Neapel heimkehren und zugleich in die schuldbeladene Vergangenheit reisen. Italiens Auslands-Oscar-Kandidat läuft jetzt in AT und DE im Kino.

Eine oft erzählte Geschichte: Ein Mann kehrt zurück in die Stadt seiner Kindheit und reist in diesem Zuge gleichsam zurück in die Vergangenheit, Neapel ist es in diesem Fall, und der Mann heißt Felice (Pierfrancesco Favino). Vierzig Jahre lang war er weg und hat in dieser Zeit in Ägypten ein Unternehmen gegründet, eine Ehe geschlossen und also ein neues, anderes Leben gelebt. Warum er gegangen ist, erfährt man erst im letzten Drittel dieser Geschichte. Warum er wiederkommt, hingegen gleich am Anfang: Felices Mutter (Aurora Quattrocchi) ist schwerkrank und wird bald sterben. Der Sohn will sie noch einmal sehen.

Der Heimkehrer ist die zentrale Figur in Nostalgia, dem 17. Film des Regie-Routiniers Mario Martone. Alles ordnet sich um ihn herum an: die engen Gassen, die Räume, die Menschen, mit denen er in Kontakt tritt, in seinem Versuch die Vergangenheit zu klären. Und zu klären gibt es genügend: ein Verbrechen, begangen von Jugendlichen, der abrupte Abbruch einer Freundschaft. Felices Jugendfreund Oreste (Tommaso Ragno) ist heute ein Boss der Cosa Nostra. Der Priester (Francesco Di Leva), dem Felice sich anvertraut, wirft den verlorenen Sohn jedenfalls umgehend aus seiner Kirche, als der von seiner Freundschaft zu Oreste berichtet.

Favino, Martone, Nostalgia, 2022
Pierfrancesco Favino

Nostalgia findet wunderschöne Stadtbilder und setzt Neapel in erdigen, warmen Farben in Szene. Die Stadt wirkt ästhetisch makellos, trotzdem hat der Blick hier nichts Touristisches. Stattdessen kann man die Inszenierung der Architektur hier als In-Szene-Setzen des Innenlebens des Protagonisten verstehen, den es mit einem Mal sehr in die alte Heimat zurückzieht. Wenn man sich die Straßen ansieht, durch die er schreitet, kann man das auch unmittelbar verstehen. Darüber hinaus bleibt die Motivation allerdings etwas dunkel. So schön die Bilder in Nostalgia auch sind und so widerstandslos die Kamera durch die Gassen gleitet, weiß der Film nicht wirklich was anzufangen mit seiner Geschichte – insbesondere im letzten Drittel, als das Geheimnis keins mehr ist, wird die Kameraführung etwas fahrig, symptomatischer Weise sozusagen, und nimmt mal dieses, mal jenes in den Blick.

Bis dahin aber, also so lange er von dem Geheimnis sozusagen zehren kann, ist Nostalgia sehr konzentriert und von den Figuren her gedacht. Die Szene, in der Felice seine Mutter wäscht, hat in ihrer überraschenden Intimität und Fragilität etwas Unvergessliches; ein Moment, der aus diesem Film sozusagen heraussticht und dann eben auch nicht wiederholbar ist. Und die Dynamik zwischen dem zum Islam übergetretenen Felice und dem katholischen Priester, mit dem er sich anfreundet, trägt einen ebenfalls recht weit durch die Geschichte.

Seinen Titel, der ja etwas irgendwie Exemplarisches ankündigt, kann Nostalgia aber nicht wirklich mit Leben füllen. Warum sich Felice sich so sehr nach dem Ort seiner Kindheit sehnt, man kann es höchstens ahnen. Daran ändern auch die Rückblenden im 4:3-Format nichts. Die nämlich zeigen kein Kindheits- oder Jugendglück, sondern legen Stück für Stück offen, was Felice damals in die Ferne getrieben hat. Damit aber dreht sich Nostalgia eher um Schuldgefühle als um die Sehnsucht nach dem, was „allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war“ (Ernst Bloch).

 

Nostalgia
Italien 2022, Regie Mario Martone
Mit Pierfrancesco Favino, Sofia Essaïdi, Nello Mascia, Francesco Di Leva, Tommaso Ragno, Aurora Quattrocchi
Laufzeit 117 Minuten