Blau ist eine warme Farbe

Marokkanisches Melodram: „Das Blau des Kaftans“ – im Kino

Touzani, Das Blau des Kaftans
Le bleu du caftan, 2022, Maryam Touzani

„Das Blau des Kaftans“ ist eine zart gewobene Dreiecksgeschichte von Maryam Touzani, die Rezeptionsgewohnheiten eines westlichen Publikums aufbricht. Jetzt in AT und DE im Kino.

Halim ist ein Maleem, einer, der die Kunst des Kaftans noch beherrscht; er kann also nicht nur schneidern, sondern auch verzieren, das heißt, den kostbaren Stoff mit prachtvollen Bordüren besticken. Es ist ein aussterbendes (Kunst-)Handwerk, wie Halim feststellt, als eine alte Frau einige schadhafte Stellen in ihrem wohl ebenso alten Kaftan reparieren lassen möchte und er ihr sagen muss, dass er das nicht kann und dass auch niemand mehr am Leben sei, der das noch könne: winzige feigenförmige Knöpfe aus golddurchwirktem Garn knüpfen zum Beispiel.

Und so sind er und seine Frau Mina sehr froh, in Youssef einen engagierten und lernbegierigen Helfer gefunden zu haben. Zumal sie in ihrer kleinen Schneiderei – gelegen in der Medina (Altstadt) von Salé an der marokkanischen Atlantikküste – mit der Arbeit kaum hinterher kommen. Die Ansprüche der Kundinnen sind mit den geänderten Zeiten gegangen; mit einem Male soll das traditionelle Gewand die Figur betonen und außerdem soll es natürlich schnell fertig sein, immer noch viel schneller. Einmal platzt Mina der Kragen und sie blafft eine drängelnde Kundin an: „Mein Mann ist ein Maleem, keine Maschine!“, die daraufhin verstummt. Halim steht daneben und freut sich über seine Frau. Sie sei, wird er später einmal zu Youssef sagen, „stark wie ein Fels“. Allerdings ist sie es da schon nicht mehr; sie verliert den Kampf gegen die Krankheit, die ihren Schatten bereits über den Beginn von Maryam Touzanis zart gewobenem Melodram Das Blau des Kaftans (Le bleu du caftan) geworfen hatte.

Touzani, Das Blau des Kaftans
Ayoub Missioui, Lubna Azabal, Saleh Bakri in: Das Blau des Kaftans

Das ist jedoch nur die eine Seite der Geschichte. Die andere Seite ist die, dass Halim eigentlich schwul ist und seine Sexualität allenfalls während seiner Besuche im Hamam (Dampfbad) in flüchtigen Begegnungen lebt. Es kommt vor, dass Mina seine körperliche Nähe sucht, dann stößt er sie nicht weg, seinem Gesicht aber ist anzusehen, dass ihre Art Sex nicht die seine ist. Dem vertrauten, freundschaftlichen Verhältnis der Eheleute nach zu urteilen, weiß Mina über Halims Doppelleben Bescheid, wenngleich zwischen ihnen wohl nie alles offen zur Sprache kam. Mit dem stillen Einverständnis hat es nun aber ein Ende, wirft doch der um einiges jüngere Youssef ein Auge auf den sanften Schneider, der sich das zaghaft gefallen lässt und noch zaghafter vielleicht sogar erwidert – was wiederum Mina nicht entgeht, die zunächst etwas eifersüchtig reagiert.

Das ist nicht überraschend. Überraschend ist vielmehr, wir offenherzig all dies passiert und dargeboten wird. Solcherart arbeitet Touzani, die das Drehbuch gemeinsam mit ihrem Partner Nabil Ayouch schrieb, den Voreingenommenheiten und Rezeptionsgewohnheiten vor allem eines westlichen Publikums entgegen. Wir sind es nur allzu gewohnt, dass schwulen Männern in nicht-säkularisierten Gesellschaften Todesgefahr droht, also fürchten wir auch hier Verrat, Kummer, Katastrophe. In der Tat ist Homosexualität in Marokko verboten (wird allerdings kaum verfolgt, solange sie nicht öffentlich gemacht wird). In dieser Grauzone der Toleranz ist Das Blau des Kaftans angesiedelt, pfeift jedoch auf die Darstellungskonvention des tragischen Schwulenschicksals und beschäftigt sich vielmehr mit der Beobachtung dreier Menschen, die stark füreinander empfinden, die sich umeinander sorgen und denen doch für diese Sorge und für diese Empfindungen so manchesmal die Worte fehlen.

Dreierbeziehungen sind nie simpel, Dreierbeziehungen sind immer kompliziert. Mit ihrem behutsamen Inszenierungsstil, mit genauer Beobachtung und großer Geduld bildet Touzani diese Tatsache ab und erweist zugleich jenen Menschen Respekt, die auf die unergründlichen Wege der Liebe nicht mit Wut und Zorn und Verleugnung reagieren.

„Habe keine Angst zu lieben“, ist einer der letzten Sätze, die Mina an ihren Mann richtet und mit auf den Weg schickt. Man kann darin auch ein Plädoyer an die marokkanischen Männer hören, mehr Zärtlichkeit zu wagen. Ein Plädoyer, dem Touzani selbst als Erste nachkommt, mit dem zärtlichen Blick, den sie in ihrem wunderschönen, subtilen, empfindsamen Film auf die Männer richtet.

 

Das Blau des Kaftans / Le bleu du caftan
Marokko/Frankreich et al., Regie Maryam Touzani
Mit Lubna Azabal, Saleh Bakri, Ayoub Missioui
Laufzeit 123 Minuten