Teuflisch gut

Streaming-Tipp KW 12

The Wailing, 2016, Na Hong-jin

Der Sofa Surfer macht Station bei einem der besten koreanischen Filme der jüngeren Zeit: „The Wailing: Die Besessenen“ (2016) von Na Hong-jin. Flat auf Sky (AT/DE) bzw. ab sofort auf Mubi (DE).

Die Gerüchteküche beginnt zu brodeln, als sich kurz nach der Ankunft eines Fremden in der Region rund um den abgelegenen Ort Gok-seong – der Na Hong-jins Solitär The Wailing den Originaltitel gibt – unerklärliche Todesfälle zu häufen beginnen. Familienmitglieder fallen wie Bestien übereinander her und richten häusliche Blutbäder an, zwischen katatonischem Stupor und konvulsivischen Anfällen treibt es die Überlebenden anschließend ins frühe Grab, allerorten herrscht ein Riesengeschrei und mit dem ländlichen Frieden ist es vorbei.

Während die einen von den Wirkungen halluzinogener Pilze raunen und die anderen dämonische Mächte am Werke sehen, machen die dritten selbstverständlich den fremden Japaner, der allein im Wald haust, für all die Unbill verantwortlich. Es wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt und geflüstert und offen mit dem Finger gezeigt. Dorfpolizist Jong-gu, den sein Vorgesetzter einmal als „ein kümmerliches Weichei mit erbsengroßen Eiern“ bezeichnet, ermittelt im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten ebenso wacker wie tapfer. Kwak Do-won spielt diesen Geplagten mit einer einnehmenden Mischung aus Fassungslosigkeit und Mut der Verzweiflung, in die sich zunehmend ohnmächtiger Zorn und schließlich notgedrungen auch eine stattliche Gewaltbereitschaft mischen. Denn angesichts des immer weiter um sich greifenden Schreckens sieht Jong-gu sich alsbald nicht nur überfordert, sondern sogar direkt in seinem Heim bedroht. Im Kampf um die Seele seiner kleinen Tochter, die ein immer seltsameres Verhalten an den Tag legt, wächst Jong-gu über sich selbst hinaus. Aber was kann so ein kleiner Dorfpolizist schon ausrichten gegen – den Teufel?

Chun Woo-hee

The Wailing ist ein ungewöhnlich Grauen erregendes, tatsächlich Furcht einflößendes Werk, das eine böse spirituelle Kraft faktisch in ein kleines Gemeinwesen herniederfahren lässt und nüchtern interessierten Blicks den entstehenden hilflosen Tumult unter den menschlichen Spielbällen aufzeichnet. Was sich also abspielt, ist ein metaphysisch-religiöser Großkampf, in dem die koreanische Tradition des Schamanismus auf japanische animistische Vorstellungen trifft und auch die katholische Kirche ein Wörtchen mitzureden hat. Letztere erweist sich allerdings als wenig hilfreich: „Die Kirche kann nichts für sie tun“, bescheidet ein zu Rate gezogener Priester den armen Polizisten abschlägig und offenbart damit das Unvermögen eines aufgeklärten Christentums, den hier virulenten, tief in der Volkskultur verwurzelten Ängsten gerecht zu werden.

Na Hong-jin hat mit The Wailing ein mächtiges, ungeschliffenes, tief verstörendes Trumm geschaffen, in dem lediglich die hin und wieder ins Geschehen montierten, spektakulären Landschaftstotalen kurze Pausen zum Atemholen verschaffen. Und während man noch ihre Schönheit bestaunt, erweisen sie sich schon als trügerischer Schauplatz, auf dem wild die Genres schillern. Krimi, Thriller, Geister- und Horrorfilm führen einen hoch dynamischen Veitstanz auf, alldieweil ein Familiendrama seinen Herz zerreißenden Verlauf nimmt. Zweieinhalb rasante Stunden lang – „Korean Noir“ at its best!

(Der Text erschien ursprünglich zum Heimkinostart in der Berliner Zeitung. The Wailing ist bei Alive auf Disc erhältlich.)

Weitere Streaming-Tipps, gemischt mit Kino-Tipps, finden Sie übrigens in unserem „Best-Picture“-Special – passend zur bevorstehenden Oscar-Nacht, zu welcher im Nachgang auch ein Podcast-Special geplant ist – zu hören ab 29. März.