Nihilist und Hochstaplerin

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fabian, tom schilling
Fabian oder Der Gang vor die Hunde, 2021, Dominik Graf

Hungern ist Geschmackssache in Dominik Grafs vielleicht bestem Film („Fabian“, Sky) und Erin Doherty reiht sich ein in den modernen Kanon von Hochstapler:innen („Chloe“, Prime Video).  

Dominik Grafs Fabian oder Der Gang vor die Hunde, der 2021 in die Kinos kam, ist keine typische historische Romanze. Der gestandene deutsche Maestro des Krimi- und Polizeigenres hat Erich Kästners Roman „Fabian – Die Geschichte eines Moralisten“ aus dem Jahr 1931 zu einem dreistündigen, intimen Epos ausgebaut, das ein Zeitporträt eines Weimarer Berlins malt. Man spürt hier nicht nur das mulmige Gefühl einer Gesellschaft am Abgrund, sondern auch deren Euphorie.

Fabian oder Der Gang vor die Hunde (bei Sky) schildert diese Zeit durch die blauen Augen seines titelgebenden Helden, eines nihilistischen, arbeitslosen Schriftstellers. Gespielt von Tom Schilling, versucht Fabian sich in der Nachkriegswelt zurechtzufinden, während er durch Bordelle und mit Hakenkreuzen überfüllte Straßen stolpert. Der Schauspieler ist hier wieder mit Saskia Rosendahl gepaart, seiner Kollegin aus Werk ohne Autor (2018), und die süße Liebesgeschichte der beiden wird zur einzig echten Sache in einer Welt, die, wie der Titel schon sagt, vor die Hunde geht. Einmal, als Fabian sich dafür verteidigt, dass er nur beobachtet und nicht handelt, fragt sein politisch engagierter Kumpel Labude, gespielt von Albrecht Schuch: „Wem hilft das?“ Fabians resignierende Antwort: „Wem ist schon zu helfen?“

Grafs Film besteht aus disparaten Elementen, die nicht zusammengehören sollten, es aber irgendwie tun. Ein wunderbarer Eröffnungs-Chor verwandelt sich in schrillen Punkrock. Ehe man sich versieht, treiben klassische Streicher die Geschichte an. Verwaschene Digitalbilder gehen Hand in Hand mit körnigen Archivaufnahmen, geteiltem Bildschirm, Fetzen von Super 8 Film, Zeitraffer und sogar Zwischentiteln im Stil eines Stummfilms. Ergänzt durch eine männliche und später eine weibliche Stimme aus dem Off fühlt sich alles sowohl anachronistisch als auch seltsam passend an.

Die Welt von Fabian ist bekannt, wer Tom Tykwers süchtig machende Serie Babylon Berlin gesehen hat, aber Grafs Herangehensweise unterscheidet sich stark vom Neo-Thriller-Stil des drei Staffeln umfassenden Sky-Originals: Mutig zwischen Realismus und Experiment bewegt sich Fabian oder Der Gang vor die Hunde und fängt die Atmosphäre der Neuen Sachlichkeit ein. Ein Meisterwerk, befand z.B. die SZ.

Die Dialoge wirken literarisch ohne abgedroschen zu klingen. „Das einzige, was ich noch nicht erlebt habe, ist Selbstmord“, sagt eine Figur, „aber es ist noch Zeit.“ An einer Stelle sagt jemand: „Verhungern ist Geschmackssache.“ Aber mein Lieblingssatz kommt von einem philosophierenden Fabian: „Du kannst immer einen Mann finden, der einer Frau den Weg versperrt.“

Falscher Name, neuer Look

Eine äußerst interessante Frau wird von Erin Doherty in Alice Seabrights sechsteiliger BBC-Serie Chloe verkörpert. Etwas verwirrenderweise heißt sie überhaupt nicht Chloe. Mal heißt sie Helena, mal Sasha. Aber in Wirklichkeit ist sie einfach die alte Becky Green, die sich einen falschen Namen, einen neuen Look und einen neuen Akzent zulegt, um den Tod ihrer Jugendfreundin aufzuklären.

Die Serie ist erfunden, aber sie wird für all jene höchst wahr klingen, die abends erst einschlafen können, wenn sie endlos durch ihre Timelines gescrollt haben. So begegnen wir Becky: Ihr Gesicht ist eingetaucht in das Licht ihres Smartphones, während sie tief im Leben der titelgebenden Chloe versinkt, das viel schöner zu sein scheint als ihr eigenes. Beckys Leben ist ziemlich eintönig. Sie ist festgefahren in einem hirnlosen Aushilfsjob und muss sich widerwillig um ihre an Demenz leidende Mutter kümmern. Man würde ihr ein wenig Flucht vor der Wirklichkeit verzeihen. Aber als die Nachricht von Chloes Tod durchsickert, erspäht Becky eine Gelegenheit. Sie ist geschickt darin, neue Identitäten anzunehmen, und schon bald schleicht sie sich ihren Weg in Chloes trauernden Freundeskreis, gibt sich als Galeristin aus und benennt sich in Sasha um.

Das Ganze nimmt interessante Züge an, als plötzlich die Grenzen zwischen ihrer eigenen Identität und der ihrer toten Freundin verschwimmen. Chloe spielt sich ab wie eine Hitchcock-Geschichte für das Instagram-Zeitalter, mit all der Spannung und dem Stress, der damit verbunden ist.

Erin Doherty ist eine Schauspielerin, die ihr gesamtes Erscheinungsbild mit nur der kleinsten Änderung ihrer Körperhaltung verändern kann. Sie wechselt mühelos zwischen ihren Persönlichkeiten hin und her: mürrische Tochter, fleißige Angestellte, schicke Galeristin. Damit reiht sie sich in einen neuen Kanon der Helden „du jour“: Hochstapler:innen. Geschichten über falsche Identitäten sind der letzte Schrei. Netflix hat mit Inventing Anna, der Geschichte von Anna Delvey, sowie The Tinder Swindler über einen so hochkarätigen wie erbärmlichen Betrüger, große Erfolge erzielt (hier unsere Beschreibung der beiden Titel).

Der Autorin und Regisseurin Alice Seabright, die zuvor bei einer Handvoll Episoden der Netflix-Hit-Serie Sex Education Regie geführt hat, ist mit Chloe etwas ziemlich Cleveres gelungen. Ihr Drehbuch fängt den ganzen Sadomasochismus ein, der mit Social Media verbunden ist, die Lügen und die Schmeicheleien. Und ein Stück weit auch die wachsende Einsamkeit.