Niemand

Streaming-Tipps KW 10

Nobody, 2021, Ilya Naishuller

Ein Covid-bedingt flacher Surfer, der nach dem Ausbleiben cinephiler Mubi-Wellen in „Nobody“ (flat auf Sky) seinen instinktiv tiefen Höhepunkt findet.

Eins kann ich Ihnen sagen, liebe Follower unserer Streaming-Tipps: Coroniert Sofa surfen grenzt an Arbeit.

Da will man eigentlich Chris Markers Sans Soleil einer Neusichtung unterziehen, zumal eine der beiden Direktorinnen des Linzer Crossing-Europe-Filmfestivals (heuer von 27.04.­–02.05.), nämlich Katharina Riedler, voller Verve in unserem Podcast von ihrer Erfahrung damit erzählt (https://filmfilter.at/podcasts/).

Da möchte man einen Oscar-Preisträger des Jahres 1995 nachholen, passt ja immerhin zum allmählich aufkommenden Best-Picture-Augurenwesen (es wäre um Nikita Michalkows Stalin-kritischen Historienfilm Die Sonne, die uns täuscht gegangen, aber naja, Putin-Freund Michalkow ist in der Zwischenzeit zum Bonzen und Staatskünstler geworden und lässt auch dieser Tage nichts Gutes verlauten).

Da will man einem formal provokanten True-Crime-Drama, der Rekonstruktion eines niederländischen Sexparty-Skandals, eine Chance geben (Feast von Tim Leyendekker), hätte ja vielleicht auch noch irgendwie zum Weltfrauentag gepasst. Da möchte man… naja, Sie ahnen, worauf es hinausläuft. Voller anspruchsvoller Vorsätze setzt der Sofa Surfer sich vor den Schirm, nur um wenig später von der Viruslast erdrückt im Bett zu landen (alle drei Filme gibt es übrigens auf Mubi).

Was macht nun also der Matschbirnen-Surfer? Er wirft dem Anspruchsvollen das Handtuch und ergibt sich einem niederen Plaisir. Nämlich Nobody (flat auf Sky). „Vom Autor von John Wick“ werben die Produzenten für den Thriller, als ob das schon ein zentrales Qualitätsmerkmal wäre (Derek Kolstad heißt der Herr übrigens). Der verantwortliche Regisseur Ilya Naishuller trug sich 2015 mit dem tendenziell verzichtbaren, teils russischen POV-Science-Fictioner Hardcore Henry ins Game-Action-Genre ein. Doch der Nobody-Trailer mit dem Monolog-Höhepunkt „Ihr bekommt jetzt auf die Fresse“ verspricht gut sortierte Sprüche, Watschen und Wendungen (und nicht zuletzt Maschinenpistolenexzesse) und tatsächlich wendet sich die humoresk getaktete Story pünktlich nach dem ersten Akt ins John Wick-Artige, ohne dabei ihre humorig-lakonische Art zu verlieren.

Die Vorblende zum Einstieg ist schon einmal nicht schlecht: „I’m just a soul whose intentions are good“, singt Nina Simone, während der blutverschmierte Held Hutch sich in Handschellen eine anraucht, für ein Katzenbaby eine Thunfischdose öffnet und auf seine Befragung wartet, im Zuge derer er sicher nicht missverstanden werden wird. Hierin steckt schon die Essenz dieses Werks, die ein Kollege vom „Guardian“ perfekt auf den Punkt bringt: Nobody macht sehr wenig und nichts neu, das aber sehr gut. Er weiß, wie hoch er zielen muss und zielt nicht höher. In knackigen, angenehm unaufgeblasenen 88 Minuten gibt er uns (ergänze: uns Matschgehirnen) exakt das, was wir wollen (ergänze: niederes Plaisir).

Nobody, 2021, Ilya Naishuller

Mit Filmen solcher Art werden keine Kriege beendet und keine Gleichstellungsprobleme gelöst. Handwerklich tipptopp fabriziert und mit ein paar narrativen Gimmicks garniert, versteht Nobody es allerdings vorzüglich, eine bestimmte Zielgruppe zu bedienen: Als erschöpfter Vielarbeiter und Familienvater kann man sich ab Minute 3 mit Hutch identifizieren, in Minute 27 versteht man seinen Auszucker (Bob Odenkirk hat sich seine erste Actionstar-Rolle übrigens prima ausgesucht, hoffentlich wird kein ewiger Wiederholungstäter wie Liam Neeson aus ihm!), zwischendurch möchte man seinen Gegenspieler aus der russischen Mafia auspeitschen, in Minute 79 überlebt man eine Explosion mit Hutch und am Ende startet man gern in ein neues Leben mit ihm und Connie Nielsen als vertrauter Ehegattin – auch wenn dieses Ende ein wenig ausfranst und de facto mit der Eröffnung eines Nobody-Franchises droht.

Aber so ist das mit Killerhelden, die eigentlich schon lange keine mehr sein wollten: Sie sind dazu verdammt, immer wieder in ihr altes Leben zurückzukehren und immer neue Matschbirnen zu vergnügen.