Neon Revenge Demon

Streaming-Tipp KW 2: „Copenhagen Cowboy“

Refn, Copenhagen Cowboy
Copenhagen Cowboy, 2022–2023, Nicolas Winding Refn

„Copenhagen Cowboy“: Nicolas Winding Refn erkundet in seiner zweiten Miniserie die Unterwelt von Kopenhagen – stilexzesstypisch (Netflix).

Die Film-als-Traum-Metapher begleitet das Kino von Anfang an. Wenn das Geschehen auf der Leinwand sich von den narrativen Normalverläufen des Genrefilms verabschiedet und dann noch auf die Inszenierung von körperlichen Extremzuständen konzentriert, ist gerne von Fiebertraum die Rede. Eine Metapher, die nur deswegen nicht mehr so ganz glücklich ist, weil sie so oft verwendet wird und abgegriffen wirkt. Aber sie trifft dann doch immer wieder, zum Beispiel im Falle von Copenhagen Cowboy, der neuen Netflix-Serie des Regisseurs Nicolas Winding Refn. Über sechs Folgen durchschreitet die androgyne Heldin Miu (Angela Bundalovic) somnambul eine Albtraumlandschaft und verschiedene Stationen der Gewalt, ausgeübt meist von Männern gegenüber Frauen.

So etwas wie ein Plot ist allerdings eher in Spuren vorhanden, wobei es im Verlauf der sechs Episoden doch zunehmend erzählerischer wird, wenn man so will. Miu, Migrantin in Dänemark, hat Wunderkräfte. Sie kann zum Beispiel ein Neugeborenes wiederbeleben, nur indem sie es im Arm hält, und einen Gangsterboss von seiner Migräne befreien. Auf ihrer Reise begegnet sie einem Serial Killer. Wenn der Mann tötet, legt Refn lautes Schweinegrunzen auf die Tonspur. Männer sind in dieser Welt Agenten der Gewalt und Schweine vor allem anderen. Die Frauen in Copenhagen Cowboy erscheinen nur anfangs als Opfer. In der vierten Episode fängt Miu an, im ganzteiligen Bruce-Lee-Jogginganzug die Gewaltmänner zusammenzuschlagen. Um dann die Gangsterwelt Dänemarks aufzumischen.

Refn, Copenhagen Cowboy

Copenhagen Cowboy wurde als feministischer Gangsterfilm rezipiert, und das ist auch nicht falsch. Zuallererst aber geht es dem Style-over-Substance-Künstler Refn (was erst einmal nicht negativ gemeint sein muss) um einen Zustand. Copenhagen Cowboy ist, nicht zuletzt, eine Form des slow cinema und interessiert vor allem an Farben, Formen und Sounds. Alles, was man hier sieht, Gewaltexzesse, Sex, Drogen, Auftragskiller, Verbrechersyndikate, ist in langen Einstellungen gefilmt, mit nur wenig Dialog. In den Vordergrund rücken neblige Landschaftsaufnahmen und schummrige Räume, in denen immer wieder die knalligen Neonfarben aufblitzen, die man aus Refns Filmen seit Drive und vor allem Only God Forgives und natürlich The Neon Demon oder aus seiner ersten Miniserie Too Old to Die Young kennt. Der Regisseur ist farbenblind und braucht, sagt er, krasse, überdeutliche Formen, um sich in den eigenen Bildern zurechtzufinden.

Das alles zielt primär auf Atmosphäre und ist im Resultat stylish ohne Ende. Und an diesem Punkt entscheidet sich dann auch, ob man Copenhagen Cowboy bis zum Ende schaut oder aussteigt. Man muss sich von dieser Ästhetik an und für sich faszinieren lassen, um die Serie gut finden zu können. Denn um eine ästhetische Erfahrung, in der sich Welt- und Filmerfahrung verbinden, geht es im Kino von Nicolas Winding Refn nach wie vor nicht. Die Gewalt ist hier ein ausschließlich ästhetisches Sujet. Die Gangster sind Filmfiguren, die auf Filmfiguren verweisen und auf basale Merkmale reduziert sind, ohne Charaktereigenschaften und Psychologie, wie alle anderen Figuren auch. Anders als andere Fiebertraumregisseure wie zum Beispiel David Lynch, dessen Filme als Bezugs- und Abgrenzungspunkt in den Bildern von Copenhagen Cowboy sehr präsent sind, geht Refn nicht von einer realen Erfahrung aus, sondern von anderen Bildern, die er hineinzieht und verwandelt in die eigene abstrakte Neon-Slow-Cinema-Ästhetik.

Wenn man sich von dieser Ästhetik hingegen nicht faszinieren lässt, verbreitet Copenhagen Cowboy schnell den Eindruck einer umfassenden Leere, die das Sehen nicht eben leicht macht. Dann wirken die Bilder vor allem affektiert und ungut zermürbend. Es gibt nur wenig Regisseure zurzeit, deren Filme so offensiv eitel wirken; das geht los bei der Signatur im Vorspann „by NWR“. Wenn Rhythmus, Farben und Sounds einen aber packen, ist das, was Refn hier geschaffen hat, ausgesprochen intensiv. Aber eben auch, wie schon seine Stilexzesse fürs Kino, eher schnell vergessen.

Apropos Revenge: Von uns bereits angeteasert wurde die sagenhafte Western-Miniserie The English von Hugo Blick, mit der famosen Emily Blunt in der Hauptrolle einer Lady auf Rachemission – die gibt es jetzt österreich-exklusiv auf Canal+. (rs)

 

Copenhagen Cowboy
Dänemark 2022–2023, Regie Nicolas Winding Refn
Mit Angela Bundalovic, Fleur Frilund, Lola Corfixen, Zlatko Burić
Laufzeit 320 Minuten, 6 Episoden