Außenseiter-Spezial

Streaming-Tipps KW 48

Blick, The English
The English, 2022, Hugo Blick

Magenta TV wird mitunter wie ein Stiefkind behandelt. Dabei hat der Streamer der Telekom hervorragende Serien.

Wenn Sergio Leone, Clint Eastwood und die Coen-Brüder eine Serie zusammen gemacht hätten, dann würde sie vielleicht wie The English aussehen. Mit einem Hauch von Grand Guignol, in schwarzes Öl getränkt. Der Guardian hat es nicht ohne Grund „ein seltenes, sensationelles Meistwerk“ genannt.

Von der von Ennio Morricone inspirierten Filmmusik des Argentiniers Federico Jusid bis hin zu Spaghetti-Western-Actionszenen und ikonischen Bildern von Reitern auf Pferden der Prärie, die sich vor einem tieforangenen Sonnenuntergang aufbäumen: Der Sechsteiler von Hugo Blick (The Honourable Woman) ist ein revisionistischer Liebesbrief an das Western-Genre, der die Rollen vertauscht – eine Frau (Emily Blunt) und ein amerikanischer Ureinwohner (Chaske Spencer) sind die Helden dieser Opera seria.

The English trägt aber auch Züge eines tragischen Bühnenwerks. Sie will den Mann finden, der für den Tod ihres Sohnes verantwortlich ist. Wie, wann und wo er starb, all das spielt bis zum Finale keine Rolle (unbedingt die trockeneren Stellen durchhalten). Wichtig ist aber, dass sie sehr entschlossen ist. Eine Romanze und ein paar Gespräche über Sterne dürfen nicht fehlen, wobei es unterwegs viele Gefahren in Form großartiger irischer und britischer Schauspieler gibt, darunter Ciarán Hinds, Toby Jones, Nichola McAuliffe und Rafe Spall, die genauso gut aus einem Film der Coen-Brüder stammen könnten.

Das Augenscheinlichste, dass es über The English zu sagen gibt, ist freilich die atemberaubende Kameraarbeit von Arnau Valls Colomer. Sie sieht aus wie die umwerfenden Wild-West-Gemälde der Maler Charles Marion Russell und Albert Bierstadt: pralle Sonnen, rote Prärien und blaue Himmel, die sich so weit erstrecken, wie das Auge reicht. Es werden auch Kopfschwarten entfernt und Herzen mit Pfeilen durchbohrt. Hugo Blick, der alle Folgen inszeniert und geschrieben hat, hat ein gutes Auge für einen effektiven Western. Eine Errungenschaft.

Very British geht es in A Spy Among Friends (ab 9. Dezember) zu. Die Miniserie bringt Alexander Cary, einen Autor und Produzenten der Spionageserie Homeland, mit deren Star Damian Lewis wieder zusammen. Hier betritt der englische Schauspieler ähnliches Terrain, aber in anderer Gestalt: Er spielt Nicholas Elliott, einen britischen Geheimdienstler, der auch der engste Freund seines Kollegen Kim Philby (Guy Pearce) war – jener hochrangige britische Spionagemeister, der sich 1963 als sowjetischer Maulwurf entpuppte.

Die Geschichte von Philby wurde schon unzählige Male erzählt, vor allem von Phillip Knightley und Anthony Cave Brown sowie von Philby selbst und zwei seiner vier Frauen. Auch Großmeister John le Carré hat den Fall in seinem Verschwörungsroman Roman Tinker Tailor Soldier Spy verarbeitet. Ähnlich wie in der 2011er Verfilmung von Tomas Alfredson fängt die Serie das damalige Buben-Milieu des britischen Geheimdienstes perfekt ein.

Alexander Carys Sechsteiler basiert auf dem gleichnamigen Buch des Londoner Journalisten Ben Macintyre aus dem Jahr 2015, der sich auf die Freundschaft zwischen Philby und Elliott konzentriert. Dazu erfunden hat er die MI5-Beamtin Lily Thomas (mit viel Contenance gespielt von Anna Maxwell Martin), die Elliott immer und immer wieder verhört. Hat dieser seinem Freund vielleicht zur Flucht verholfen?

Die Agentin befragt Elliott ausführlich über seine aufgezeichneten Gespräche mit Philby in Beirut, die wir in Rückblenden zu sehen bekommen. Währenddessen wird der aufsässige Philby von dem sowjetischen Offizier Sergei (Karel Roden) aggressiv vernommen. Drei Handlungsstränge beinhalten also Menschenpaare, die in sehr grauen Räumen sehr viel rauchen und einander anmurmeln. Es ist kein visuelles Feuerwerk, sondern eine schicke, sehr ausgeklügelte und exquisite Intrige, die sich Zeit nimmt. Eine Seltenheit eigentlich.

Außerdem exklusiv auf Magenta TV: Für alle, die keine Männer in grauen Anzügen mit britischen Akzenten mögen, gibt es solche mit amerikanischen. Als eine, die The Handmaid’s Tale zuerst geliebt und dann bemängelt hat und später daran verzweifelt ist, muss ich zugeben, dass die aktuelle, fünfte Staffel endlich ein Stück weit Sauerstoff anbietet. Als die Serienfassung von Margaret Atwoods gleichnamigem Roman in den ersten Monaten von Donald Trumps Präsidentschaft erschien, legte sie einen Finger in die Wunden der Zeit. Es besteht auch kein Zweifel daran, wie wichtig die Serie im anhaltenden politischen Diskurs war und immer noch ist. Aber sie hat den Finger immer tiefer und so lange in die Wunde gerieben, bis es nur mehr schwer zu ertragen war. Jetzt befindet sich The Handmaid’s Tale in einer neuen, faszinierenden Ära der Abrechnung. Elisabeth Moss brennt immer noch vor Wut, aber als Flüchtling in Kanada findet sie allmählich einen Weg aus ihrem finsteren Kopf und raus aus dieser Serie.

Speaking of which: Das Kopfgewitter einer anderen Antiheldin ist ebenso fantastisch und vor allem urkomisch. In der Magenta-Eigenproduktion Oh Hell spielt Mala Emde die tragikomische Helene in knapp halbstündigen Folgen, erdacht von Johannes Boss (Jerks). Sehr sympathisch, imperfekt und stark angelehnt an eine großartige Serie aus London, nämlich Fleabag.