Ammonite (2020)

Passt zum Mini-Trend historischer Lesbenfilme, ist aber viel mehr als das.

Es ist kein sanftes Meer an der Küste vor Lyme Regis, einem kleinen Ort im Südwesten Englands. Die Wellen plätschern nicht, sie branden tosend an. Der Strand ist steinig und der ewige Wind pfeift durch die Ritzen in das Haus, in dem Mary Anning mit ihrer Mutter lebt und wo sie einen kleinen Laden mit Fossilien-Souvenirs für Touristen betreiben. Es ist kalt, das Leben ist karg, immer ist zu wenig Geld da. Mary ist hart geworden mit den Jahren, wie ihre Hände, die die Arbeit mit den Steinen und den Werkzeugen bezeugen. Verhärmt nennt man abschätzig solche Frauen, ohne Mann, ohne Kind, bitter geworden ohne Liebe. Und verstummt.

Also wird nicht viel geredet in Francis Lees Ammonite. Erzählt dafür umso mehr. Eines Tages nämlich gibt ein Gentleman auf der Durchreise seine Gattin, die an „Melancholie“ leidet, in Marys Obhut; die frische Seeluft werde ihr gut tun. Die traurige Charlotte Murchison stört die gleichförmigen Wege der versteinerten Mary Anning, und lockt sie doch zugleich: hervor aus ihrem Schneckenhaus, nur ein bisschen – und dann immer noch ein bisschen mehr. Während Mary wiederum Charlotte aus deren Traurigkeit schält.

Mit den Fakten, die über das Leben von Mary Anning (1799–1847, eine der Säulenheiligen des Fossilienentdeckens und -bergens und weitergehend der Wissenschaft der Paläontologie) überliefert sind, nimmt Lee sich Freiheiten heraus, wenn er ihr diese leidenschaftliche lesbische Affäre andichtet. Sei’s drum. Egal auch, dass Ammonite sich wie von einer Marketingabteilung berechnet einem gegenwärtigen Mini-Trend von Lesben-Historienfilmen zuschlagen lässt. Denn einzig von Bedeutung sind Kate Winslet als Anne und Saoirse Ronan als Charlotte, denen Lees zurückhaltende Regie jenen Raum schafft, in dem die beiden Schauspielerinnen vorbehaltlos und auf herausragend nuancierte Weise ihre Figuren einander entdecken lassen können. Es ist ein von der Essenz einer rauen Küstenlandschaft und von der groben Stofflichkeit der Kostüme durchdrungener Raum, ungeheuer sinnlich zwar, doch alles andere als sanftmütig. Ein Raum, in dem, unter Schmerzen, Freiheit geboren werden kann.

Und apropos Schmerzen: Nehmen Sie als Kontrast dazu dieses Stück.

(Flat auf UPC TV bzw. gegen Entgelt bei diversen Streamern oder auf Disc bei Leonine.)

 

Ammonite
UK/Australien 2020, Regie Francis Lee
Mit Kate Winslet, Saoirse Ronan, Gemma Jones, James McArdle, Fiona Shaw, Alec Secareanu
Laufzeit 113 Minuten