Fresh: ein kannibalischer Date-Horrorfilm (Disney), eine exzentrische Krustentier-Fabel (MUBI) und ein sündhaft unterhaltsamer Blick auf ein berüchtigtes Stück amerikanische Geschichte (Amazon).
Der europäische Traum vom verlorenen Gold führte viele Eroberer auf eine fruchtlose Reise in die Regenwälder und Berge Südamerikas. „Wir verbringen unsere Zeit damit, einen Sinn zu finden“, sagt der quixotische Antiheld von Re Granchio (The Tale of King Crab), „aber tief im Inneren wissen wir, dass wir nichts sind.“ Die tragische Geschichte von Luciano, gespielt von Gabriele Silli, steht im Herzen des gut aussehenden, ersten Spielfilms der italienischen Regisseure Alessio Rigo de Righi und Matteo Zoppis.
Es sind im Grunde zwei Filme in einem. Das erste Kapitel ist üppig und sinnlich und erinnert an die italienischen Meister der Siebziger. Das zweite ist ausgefallen und naturalistisch und beschwört Werner Herzog und Lucrecia Martel herauf. Zusammen mit ihrem Kameramann Simone D’Arcangelo, dem Digital-Imaging-Techniker mehrerer Woody-Allen-Filme, haben de Righi und Zoppis beeindruckende Bilder geschaffen: etruskisches Gold, das auf dem Grund eines Sees leuchtet; das Glitzern der Sonne im Bart eines Betrunkenen; ein altes spanisches Schiff, das nach einem Sturm auf Grund gelaufen ist.
Gabriele Sillis Gesicht ist eine eigene Landschaft für sich, sein Bart ein Urwald. Er ist kein professioneller Schauspieler (und der Großteil des Ensembles auch nicht), und doch merkt man ihm nicht an, dass dies sein Leinwanddebüt ist. Als wir seinen Luciano zum ersten Mal treffen, ist er ein Trunkenbold im Italien des 19. Jahrhunderts, verliebt in Emma (Maria Alexandra Lungu, die in Alice Rohrwachers Le meraviglie mitspielte). Eine Tragödie führt zum zweiten Kapitel, „Das Arschloch der Welt“ genannt, das uns in einen Spaghetti-Western mit magischem Realismus und in die kargen Landschaften von Argentiniens Feuerland versetzt, wo wir auch die Kreatur treffen, die dem Film seinen Titel gibt. Jetzt sucht Luciano nach einem Schatz und benutzt die Krabbe als Kompass. Mehr zu sagen, würde die Geschichte verderben, aber es ist der Stoff, aus dem Legenden gemacht werden.
Auf keiner Legende, sondern einer wahren Geschichte (einem Podcast natürlich), basiert eine neue, achtteilige Polit-Serie auf dem Prime Video Channel Starzplay. Wir ertrinken ja dieser Tage förmlich in True Crime, aber Gaslit zählt zu den besseren Adaptionen, die Streaming zu bieten hat. Julia Roberts spielt Martha Mitchell, die prominente Ehefrau von Richard Nixons Wahlkampfmanager und Generalstaatsanwalt John Mitchell (Sean Penn). Und sie lehnt sich herrlich rein in den Südstaatenakzent der Grand Dame. Sie hat die natürliche Ausstrahlung von zehn Sonnen. Martha Mitchell war eine Schwätzerin und plauderte gerne heimlich mit der Presse. Sie wurde unter Drogen gesetzt, geschlagen und praktisch in einem Hotelzimmer gefangen gehalten, damit sie keine Geheimnisse über Watergate ausplauderte.
Es war einer der größten politischen Skandale in Amerika, aber Gaslit inszeniert die Affäre als eine holprige, dunkle Komödie – und das ganz ohne Nixon. Ein kluger Schachzug, denn mit Nixon haben wir die Geschichte schon oft gesehen.
Die Serie wurde von Sam Esmail produziert und von Robbie Pickering geschrieben, dem Autor von Esmails Mr. Robot, und seine Fingerabdrücke und die von Esmails Homecoming (auch mit Julia Roberts), sind überall in Gaslit zu sehen. Alles ist stimmungsvoll beleuchtet und mit Streichern unterlegt.
Bemerkenswert auch die Besetzung: Sean Penn hat es ein wenig schwierig, weil der Schauspieler unter künstlichen Prothesen begraben ist, aber er liefert sich einen Oscar-würdigen Ehekrieg mit Julia Roberts, auf den Edward Albee („Who’s Afraid of Virginia Woolf?“) stolz wäre. Aber das inoffizielle Highlight ist Shea Whigham (aus Boardwalk Empire und Perry Mason), der hier als der schnauzbärtige, manische, ehemalige FBI-Agent Gordon Libby auf entzückende Weise außer Kontrolle gerät.
Es gibt keinen eleganten Übergang zum dritten Tipp: Fresh (Disney+) fühlt sich an wie eine Mischung aus Get Out, The Tinder Swindler und Raw. Der Debütfilm der Musikvideoregisseurin Mimi Cave ist buchstäblich ein Horrorszenario des modernen Dating. Die Idee ist nicht neu, aber die Art und Weise, wie Cave sie umsetzt, wirkt erfinderisch. Daisy Edgar-Jones (Normal People) spielt Noa, eine abgestumpfte junge Frau, die von Dating-Apps genug hat. In der ersten Szene sagt ihr „Match“ zu ihr, dass Frauen wie sie, in Schlabberpullis, einfach nicht mehr so weiblich sind, wie sie es früher waren. Nachdem er sie eine „hochnäsige Schlampe“ genannt hat, geht Noa desillusioniert wieder nach Liebe wischen. Da trifft sie den charmanten Steve (Sebastian Stan), ausgerechnet im Gemüseregal eines Supermarktes. Er ist gutaussehend, lustig und behauptet, ein plastischer Chirurg zu sein. Sie verstehen sich so gut, dass sie beschließen, für ein Wochenende zusammen wegzufahren. Ungefähr dreißig Minuten nach dem Beginn von Fresh läuft der Vorspann. Bis dahin entfaltet sich der Film wie eine drollige, romantische Komödie. Dann kommt das Hauptgericht.
Steve ist nicht nur ein psychotischer Hannibal Lecter, der Frauen wie Kalbfleisch filetiert. Er züchtet Frauen, um ihr Fleisch an reiche, weiße Männer auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen (Fresh ist nichts für zarte Gemüter).
Fresh wurde von Lauryn Kahn geschrieben, der ehemaligen Assistentin von Adam McKay, der den Film produziert hat, und das merkt man. Es ist ein kluger, politisch bewusster, manchmal lustiger Film darüber, wie Frauen in der Gesellschaft auf ihre Körperteile reduziert werden. Der Kameramann Pawel Pogorzelski, der mit Regisseur Ari Aster bei Hereditary und Midsommar zusammengearbeitet hat, inszeniert diese Metapher mit vielen extremen Nahaufnahmen von Augen, Lippen und anderen anatomischen Teilen. Fresh ist ein potenter Horrorfilm mit feministischem Rachebrüllen.