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Streaming-Tipps KW 6: Retro-Surfer

Hanson, L.A. Confidential
L.A. Confidential, 1997, Curtis Hanson

„L.A. Confidential“ / „The Talented Mr. Ripley“: Schein und Sein verschwimmen in zwei opulenten Kult-Literaturverfilmungen der 1990er Jahre (auf Disney+ bzw. bei Arte).

24 Jahre nach dem Kinostart von The Talented Mr. Ripley von Anthony Minghella (The English Patient) ist es noch einmal augenfälliger: Trotz seines polierten Hollywood-Ensembles ist der Film ein dunkles und wahnsinniges Juwel, dessen glatte Oberflächen einen verfaulten Kern verbergen. Zuerst zeigt er Menschen in der italienischen Sonne glitzern und deckt dann doch alles als moralisch kaputt auf. Aber noch grundlegender ist, dass die Adaption von Patricia Highsmiths Kriminalroman aus dem Jahr 1955 eine Geschichte über die Sehnsucht ist, mehr sein zu wollen als man ist, jemand anderes sein zu wollen, „ein falscher Jemand“, und wie sinnlos solche Träume sein können.

Wir schreiben das Jahr 1958. Matt Damon spielt den titelgebenden, talentierten Soziopathen und social climber, der zu Beginn des Films noch öffentliche Toiletten in New York betreut. In Europa lernt er in der nächsten Szene dann auf Italienisch „Das ist mein Gesicht“ zu sagen, während er durch sein Fernglas Dickie Greenleaf beobachtet, wie der sich am Strand in der Sonne badet. Tom Ripley soll den verwöhnten Lebemann und Sohn reicher amerikanischer Eltern nach Hause bringen, aber stattdessen verliebt er sich in Dickie, in sein ausschweifendes Leben, und diese Verliebtheit führt schnell zu einer pathologischen Besessenheit. Nicht schwer zu verstehen warum. Von seinen ersten Momenten an glänzt Jude Law als gebräunter Adonis mit verführerischem Lächeln und arroganter Sorglosigkeit. In Andrew Niccols Gattaca (1997) und David Cronenbergs Science-Fiction-Thriller eXistenZ (1999) war er noch in nahezu unbemerkten Rollen aufgetreten. Jetzt konnte man ihn nicht mehr übersehen. Übertroffen wird seine Schönheit allerdings von seiner Verlobten Marge, gespielt von der damals frischgebackenen Oscar-Preisträgerin Gwyneth Paltrow (Shakespeare in Love). Ein junger Philip Seymour Hoffman stiehlt unterdessen fast allen die Show als abscheulicher Snob, während Cate Blanchetts charismatische Neureiche „sich nur unter Leuten wohl fühlt, die Geld haben und es verachten“.

Obwohl es leicht wäre, Matt Damons Performance als langweilig anzusehen, ist seine äußerliche Stumpfheit Teil der betörenden Natur seiner Figur, seiner vermeintlich amerikanischen Glattheit. Er ist so gewöhnlich wie Ripley, aber zieht sich die lebendige Haut anderer wie ein Kostüm an, während er eine Spur von Leichen hinterlässt. Es ist bis heute die vielleicht gewagteste Rolle des Schauspielers, der am häufigsten mit Hits wie den Bourne-Filmen assoziiert wird. Der Trick ist: Wir sehen Ripley nie als ein Monster, das sich seinen Weg durch Manghellas moralischen Sumpf mordet; nicht einmal während des fatalen Endes, das seine eigene Tragödie besiegelt (ab 13. Februar in der ARTE Mediathek).

Wir bleiben in moralisch trüben Gewässern und in den 1950er Jahren, wechseln aber den Schauplatz. L.A. Confidential, Curtis Hansons 1997er-Verfilmung von James Ellroys Kultroman, ist eine komplexe Oper. Sie spielt im Schatten von Hollywood-Palmen und bietet all jene Dinge, die gelungene Noir-Krimis ausmachen, wenngleich hart am Rand des Klischees: korrupte Cops, schmutzige Politiker, sabbernde Boulevardjournalisten, krumme Gangster und eine bildschöne Prostituierte, die wie eine berühmte Schauspielerin aussieht – gespielt von der damals berühmten Schauspielerin Kim Basinger.

Das übergroße Thema fast aller Romane des amerikanischen Schriftstellers James Ellroy ist die moralische Selbstgefälligkeit Amerikas, das nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg nicht weiß, was es mit sich anfangen soll. Es ist auch das Thema seines „L.A. Quartet“, zu dem auch „L.A. Confidential“ aus dem Jahr 1990 gehört.

Das Los Angeles der Fifties in Hansons Verfilmung ist ein glänzendes, gesetzloses Ödland. Der Regisseur nutzt die schizophrene Landschaft, um einen Unterschied herauszuarbeiten zwischen dem, was das Nachkriegsamerika zu sein behauptete, und dem, was es wirklich war: ein rassistischer, korrupter Tümpel. Dante Spinotti, der Haus- und Hofkameramann von Michael Mann, baut eine unglaublich spannende Atmosphäre auf und Jerry Goldsmith liefert seine beste Musik seit Roman Polanskis 1974er Chinatown (mit dem der Film gern verglichen wird).

Vier Polizisten verkörpern den ideologischen Kampf in L.A. Confidential: ein junger Guy Pearce spielt den naiven Karrieristen, der alles nach Vorschrift machen will. Sein Vorgesetzter, gespielt von James Cromwell, erklärt ihm, dass ein Polizist bereit sein muss, zu lügen und zu töten. Russell Crowes Bud White ist der grüblerische Schlägertyp und Kevin Spacey spielt den nihilistischen Opportunisten. Als es zu einem nächtlichen Massaker in einem Diner kommt, werden sofort drei schwarze Jugendliche als Verdächtige festgenommen, obwohl nichts an dem Fall Sinn ergibt (auf Disney+).

The Talented Mr. Ripley und L.A. Confidential sind beide Ausdruck derselben doppelbödigen Kultur. Es sind keine moralisierenden Sittenbilder. Stattdessen schwelgen sie in Fehlern, die in jedem Menschen angelegt sind, und sind damit ziemlich zeitlos. Überdies sind beide Filme ausgesprochen unterhaltsam.

(Übrigens startet auf CANAL+ die Spionageserie A Spy Among Friends mit Damian Lewis und Guy Pearce, über die wir ja bereits berichtet haben.)