„The Devil‘s Hour“ (Prime Video): Faszinierendes Thrillerdrama, in dem wenig ist wie es scheint.
Ist es nur ein Traum? Ist es Realität, die von Träumen beeinflusst wird? Oder ist es ein von jemand anderem geträumter Traum, etwa von Gideon (gespielt vom akklamierten schottischen Doctor Who-Darsteller Peter Capaldi) – eine der unheimlichsten und zugleich faszinierendsten Figuren, die in jüngerer Zeit auf Bildschirmen zu sehen war (das meint auch der Guardian). Ist es bloß ein Déjà-vu? Aber wenn nicht, warum kommt mir die Situation bloß so verdammt bekannt vor?
The Devil‘s Hour, eine von Tom Moran erdachte Miniserie, funktioniert nach dem Prinzip Wahrnehmungsstörung. Die von Alpträumen geplagte Lucy (Jessica Raine) wacht stets um 3:33 Uhr nachts auf, zur Titel gebenden Stunde des Teufels – aber wir wissen zunächst nicht, ob das von ihr Geträumte Tagesstress-Restverarbeitung, ein ordinärer Alptraum oder Ergebnis eines unbewältigten Traumas ist. Halluzinationen oder Flashbacks, unter denen sie tagsüber leidet, deuten auf Letzteres.
Lucys kleiner Sohn Isaac (Benjamin Chivers) scheint zu keinerlei echten Gefühlsregungen fähig zu sein und ist auch sonst ein Rätsel von einem Kind. Zum Beispiel sieht er Dinge, die sie selbst nicht sieht. Dennoch bemüht Lucy sich um ihn, geht mit ihm zur Therapie und versucht, ihm ihre Mutterliebe zu schenken. Wenig hilfreich bei dieser Herausforderung ist Lucys Ex-Ehemann (Phil Dunster, der Jamie Tartt aus Ted Lasso!), der sich zwar weiterhin um sie bemüht, doch seine Abneigung gegenüber Isaac kaum verhehlen kann. Als gestresste Sozialarbeiterin und Tochter einer dementen Mutter ohnehin unter Druck, wird Lucys Lage fast unerträglich, als Isaac entführt wird.
The Devil’s Hour spielt geschickt mit der Unsicherheit seiner Heldin, indem sie diese auf die Zuseher:innen überträgt. Als scheinbarer Anker für sie entwickelt sich der sensible Ermittler Ravi (Nikesh Patel) und so manche Vision Lucys deutet auf eine künftig tiefergehende Beziehung der beiden hin. Das ist es dann aber mit romantischen Elementen, der Rest der Erzählung besteht aus einem illustrativen Nebenstrang, Nachforschungen Ravis (mit seinem von Alex Ferns gespielten Partner) und wird durch die gleich zu Beginn eingeführte Figur des Gideon ins Reich reichlich verworrener Mystery verwiesen. Denn Gideon ist der Entführung verdächtig, hat einen eher halbseidenen Hintergrund, behauptet aber bei seiner Vernehmung, eine seltene Gabe zu besitzen: ab einem bestimmten Punkt gehe sein Leben immer wieder von vorn los. Ravi glaubt ihm kein Wort, Lucy scheinbar schon. „Was ist deine schlimmste Erfahrung?“, will Gideon von ihr wissen. „Das alles hier. Du!“, schreit sie zurück.
Was folgt, ist weniger amüsant als Groundhog Day oder Palm Springs (siehe hier), dafür aber spannender – jedenfalls wenn man Spaß daran hat, einer genuinen Erzähllogik zu folgen. The Devil’s Hour gibt sich nämlich nicht damit zufrieden, einfach eine Thrillerhandlung und das Drama einer Mutter auszuerzählen; der Sechsteiler arbeitet sich unterdessen an Zeitsprüngen und in der zweiten Hälfte zunehmend persistent an einer Parallelwelt-Theorie ab. Dabei fliegen die Puzzlestücke zum Teil gehörig durcheinander, doch im Verlauf der letzten beiden Episoden lichtet sich das narrative Chaos.
Das Ende lässt (wie erwartet) Raum für Interpretation, nur leider – wie oft im Fall einer gespiegelten Traum(a)geschichte – arbeitet es mit einem unlauteren Mittel. Eine Person entpuppt sich nämlich als eine andere Person als uns vorgeführt wurde. Das geht natürlich über reine Erinnerungstäuschung hinaus. Mit diesem Abstrich und nicht zuletzt wegen des raffinierten Aufbaus, der gediegenen „Halluzinations“-Szenen und des vorzüglichen Schauspiels: eine Empfehlung.