Dystopie im Bunker

Serientipp: „Silo“ – bei Apple TV+

Yost, Ferguson, Silo, 2023
Silo, 2023–, Graham Yost

„Silo“: Die klaustrophobisch wirksame Steampunk-Science-Fiction-Serie unter der Federführung von Graham Yost ist quasi eine Abwandlung von Platons Höhlengleichnis im Edutainment-Format.

Es ist etwas mehr als ein Jahr her, seit Apple TV+ uns Dan Ericksons retro-futuristische Dystopie Severance schenkte, ein quasi-totalitäres Szenario über spätkapitalistische Ausbeutung (siehe unsere Huldigung an damalige Kreationen unter dem Dach des US-Streamers). Aber was Serien betrifft, liegt Apple TV nun schon seit einer Weile eher daneben und wirft Stars wie Spaghetti an die Wand, um zu sehen, welche kleben bleiben. Selbst Auftritte von Meryl Streep, Diane Lane oder Marion Cotillard konnten z.B. das katastrophale Öko-Drama Extrapolations nicht retten.

Allein dem Trailer und den Bildern nach zu urteilen, wäre es gemeinverständlich, die neue Serie Silo als eine weitere aufgeblähte postapokalyptische Geschichte abzutun. Der Norweger Morten Tyldum, bekannt für The Imitation Game (2014), ist ein Meister der Ruhe und gibt in den ersten drei von zehn Folgen (bei denen er Regie führte) den klaustrophobischen Noir-Ton an. Alles ist matschbraun und lichtlos. Die Überreste der Menschheit sind in einem unterirdischen Bunker verschanzt, um der giftigen Welt zu entgehen.

Glücklicherweise nun ist das, was sich hier abspielt, ein fesselndes Enigma von einer Serie. Soziale Hierarchien, politische Verschwörungen und Gesellschaftskritik wird mit Steampunk-Ästhetik und existenziellen Gedankenspielen interessant entworfener Figuren vermählt. Im Grunde handelt es um eine Edutainment-Darstellung von Platons Höhlengleichnis.

Wie der Titel bereits vermuten lässt, spielt der auf einer dreiteiligen Buchreihe von Hugh Howey basierende und für Apple von Justified-Schöpfer Graham Yost adaptierte Zehnteiler in einem riesigen Bunker. Rund zehntausend Menschen leben in dem Silo, und obwohl sie vielleicht alles sind, was von der Geschichte der Menschheit übriggeblieben ist, wissen sie nichts davon. Niemand scheint zu wissen, wer den Silo gebaut hat, warum die Menschen dort sind oder was mit der Außenwelt passiert ist. Ihr einziger Blick auf die Welt da draußen zeigt den Bewohnern karges Ödland, übersät mit den Körpern all jener Menschen, die es einst gewagt haben, die Höhle zu verlassen. Relikte wie einen Pez-Spender aus der Zeit „davor“ zu besitzen, ist strengstens verboten.

Ein Überleben außerhalb des Silos sei nicht mehr möglich, heißt es. Drinnen im Orwell’schen Bunker ist es zumindest sicher und das Produktionsdesign der Serie ist geradezu eine Meisterleistung. Man stelle sich ein auf 144 Stockwerke geschichtetes Steampunk-Hochhaus unter der Erdoberfläche vor, mit retro-futuristischen Apartments für Besserverdiener, Obstgärten, einer Kantine, einem Krankenhaus, einer Schule, einer Polizeistation, einem Gericht und einem Bürgermeister. Endlose Betonblöcke werden von einer schwindelerregenden Doppelhelix-Treppe durchbohrt, die der umwerfend animierte Vorspann bereits vorwegnimmt. Tief im Bauch des Silos gibt es einen Maschinenraum mit einem Motor, der alles am Laufen hält (hier spielt sich auch der atemraubende Action-Höhepunkt des ersten Seriendrittels ab). Aber es gibt keine Aufzüge oder Telefone. Warum? Niemand weiß es. Wir, die zusehen, auch nicht.

Silo, Stufen

Es ist Sheriff Holston (David Oyelowo), der als erstes aus dem Off das quasi-religiöse Mantra vorliest, das wir jedes Mal hören, wenn jemand im Silo „nach draußen“ gehen will, was zwar erlaubt ist, aber einem Todesurteil gleichkommt. „Wir wissen nicht, warum außerhalb des Silos alles so ist, wie es ist. Wir wissen nicht, wann es sicher sein wird, nach draußen zu gehen. Wir wissen nur, dass dieser Tag nicht heute ist.“ Doch so ganz möchte man dieser Litanei nicht Glauben schenken. Was, wenn alles eine Lüge ist?

Zuerst folgen wir dem Sheriff und seiner Frau (Rashida Jones), die gerade die Erlaubnis erhalten haben, ihren Kinderwunsch zu verwirklichen. Nach dem Scheitern ihrer Bemühungen kommt es zu einer Kette von Ereignissen, die dazu führt, dass die Ingenieurin Juliette Nichols in eine Art Ellen-Ripley-Modus umschaltet und alle Fragen zu beantworten sucht, die die Leute im Silo nicht stellen dürfen. Es ist eine körperlich und emotional anspruchsvolle Rolle; glücklicherweise ist die schwedische Schauspielerin Rebecca Ferguson (nach ihrer Lady Jessica in Denis Villeneuves Dune als neue Ikone der Science-Fiction gefeiert), ihr mehr als gewachsen. Tim Robbins schlüpft in die Rolle des zwielichtigen Leiters der IT-Abteilung, während Rapper Common als eine Art Stasi-Beamter seine Mühe hat, schauspielerisch mit seinen Kolleg:innen mitzuhalten.

Vergleiche zu anderen Dystopien könnte man zuhauf ziehen, von Blade Runner bis Matrix und den Hunger Games. Abgesehen von der schummrigen Atmosphäre und der stimmungsvollen Musik von Atli Örvarsson gibt es starke Parallelen zu Snowpiercer (2013), der ebenfalls über ein geschlossenes Setting verfügt. Der Film von Bong Joon-ho (nicht die mediokre Serienadaption von 2020) ist eine Allegorie des Klassensystems, in dem die Reichen in den luxuriösen Vorderwagen eines Zuges sitzen, während die Armen im schmutzigen hinteren Teil schuften. Silo ist ein ebenso pointierter Gesellschaftskommentar. Die Menschen, die ganz oben im Bunker leben, sind bürgerliche Verwaltungsbeamte. In den Eingeweiden des Gebäudes wohnen die ärmeren Mechaniker und Recycler, die alles am Laufen halten. Silo funktioniert auch ähnlich einem Rorschachtest: Man kann vieles hineinlesen, von sozialen Ungleichheiten in der Welt bis zu Ideen eines selbstbestimmten Lebens. Es gibt mehr Fragen als Antworten in der ersten Season und das kann mitunter Frustgefühle in einem auslösen, macht aber auch Lust auf mehr (hoffentlich gibt es eine Fortsetzung).

David Oyelowo beendet die erste Folge bewegend, indem er die Regeln aufgibt, an die er sein Leben lang geglaubt hat, um seiner Frau zu folgen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt will man auch ihm und der Serie folgen. Ein gut gemeinter Rat: Keinesfalls ins Internet schauen und dort die Zusammenfassungen von Hugh Howeys Büchern lesen, um herauszufinden, was zum Teufel es mit diesem Bunker auf sich hat.