Columbo in Erdbeerblond

Serientipp: „Poker Face“ – bei Sky

Johnson, Lyonne, Poker Face
Poker Face, 2023–, Rian Johnson

„Poker Face“: Die neue Serie von Rian Johnson ist eine charmante Hommage an den zerzausten Inspektor aus dem vorigen Jahrhundert – bei Sky.

Rian Johnson, der regierende US-Meister des retroseligen Krimis, führte bei einigen, wenn auch nicht allen Episoden Regie und schrieb das Drehbuch. Er macht von Anfang an kein Hehl daraus, dass seine zehnteilige Krimiserie Poker Face ein Liebesbrief an Columbo ist. Sogar die Eröffnungstitel zitieren die senfgelbe Schrift der US-Kultserie, deren lange Erfolgsgeschichte in den 1970er Jahren begann.

Natasha Lyonne spielt Charlie Cale, den modernen Peter Falk. Angesichts ihrer ruppigen Figuren und zerknitterten Extrovertiertheit in den Netflix-Serien Orange Is the New Black und Russian Doll ist die Amerikanerin tadellos besetzt. Sie hat einen erdbeerblonden Wuschelkopf, einen watschelnden Gang, eine kratzige Nikotinstimme und eine herrlich aufgesetzte Ahnungslosigkeit. Eine Frage hätte sie dann doch noch.

Genau wie Columbo tut Charlie Cale gern so, als sei sie zu blöd, eine Spur zu lesen, aber wie bei ihm ist es nur eine Masche. Sie kann herrlich bluffen und wird permanent unterschätzt von den Kriminellen, die von berühmten Gast-Schauspielern gespielt werden. In der ersten Folge, geschrieben und inszeniert von Rian Johnson höchstpersönlich, spielt Adrien Brody den Möchtegern-Manager eines ranzigen Casinos. In einer anderen Folge gibt Chloë Sevigny eine abgewrackte Rocksängerin, die in einem Lagerhaus arbeitet. Und in einer von Natasha Lyonne selbst inszenierten Episode plaudert Charlie Cale mit einem ins Alter gekommenen Künstler für Spezialeffekte (gespielt von Nick Nolte) über Schuld und Sühne.

Johnson, Perlman, Poker Face
Ron Perlman in Poker Face © Peacock

Auch die Struktur der Peacock-Serie ist ein Spiegelbild. Poker Face verwendet wie Columbo nicht das klassische Whodunnit-Setup, sondern bedient sich des sogenannten „howcatchem“-Formats. Jede Folge beginnt damit, dass wir sehen, was tatsächlich passiert ist. Der Rest besteht darin, der Wanderdetektivin dabei zuzusehen, wie sie das Rätsel löst. Eine Gabe hat Cale allerdings sogar Columbo voraus: Sie erkennt treffsicher, wenn jemand lügt.

Dank dieses Talents war Charlie einst eine unschlagbare Pokerspielerin. Doch als wir sie zum ersten Mal treffen, lebt sie in einem schäbigen Wohnwagen am Stadtrand von Las Vegas, trinkt Bier zum Frühstück und arbeitet als Kellnerin in einem Casino. Nach einer Reihe von Missgeschicken, die zum Mord ihrer besten Freundin durch Adrien Brodys Casino-Manager führt, findet sie sich auf der Flucht (vor seinem von Benjamin Bratt gespielten Gehilfen) wieder. Wie einst Jessica Fletcher stolpert sie nun unfreiwillig von einem Tatort zum nächsten (Murder She Wrote / Mord ist ihr Hobby zählt ebenfalls zu den Inspirationsquellen von Rian Johnson).

Das Amerika, durch das Charlie sich in den folgenden Episoden schlängelt, ist eines der grenzenlosen Käuflichkeit und kleinen Grausamkeiten. Jemand wird an einer Raststätte aus Eifersucht vom Dach gestupst; ein Schlagzeuger wird aus Neid von seinen Bandmitgliedern elektrisiert: Die Verbrechen sind oft albern und urkomisch klein. Ein Grillmeister erleidet einen schrecklichen „Unfalltod“, weil er Vegetarier wird, nachdem er den 2017er Film Okja von Bong Joon-ho gesehen hat. (Das ist übrigens nicht wirklich ein Spoiler.)

Die meisten Serien auf Streaming-Plattformen fühlen sich heutzutage eher „wie ein langer Film“ an. Dagegen liefert jede einstündige Folge von Poker Face ganz im Sinne der alten Fernsehschule (und der linearen Fernsehkrimis, die sich meine Tante jeden Abend ansieht) einzelne Geschichten, die ordentlich in jede Folge verpackt sind. Jede Episode bietet eine neue Besetzung und ein neues Verbrechen, das es zu lösen gilt, und jeder Mord wird am Ende fein säuberlich aufgewickelt. Das ist für Vielseher ein bisschen ungewohnt, weil wir es nach zwei Jahrzehnten gewohnt sind, dass Serien „komplex“ und „prestigeträchtig“ sind oder zumindest große dramaturgische Bögen haben. Poker Face ist nicht zum „Bingen“ gedacht, und wenn man dennoch viel davon auf einmal sieht, kann sich ein Gefühl der Redundanz einstellen. Die Serie ist nicht spritzig oder aufregend. Aber sie ist zuverlässig wie eine gute Freundin.

Natürlich sind einige Folgen besser als andere, und die Einstiegs-Episode legt die Messlatte hoch. Aber im Grunde bekommen wir, was wir vom Schöpfer der Agatha-Christie-Hommagen Knives Out und Glass Onion (hier unsere Kritik) erwarten würden: witzige Exzentrik, ironischen Existenzialismus und viel Nostalgie für den Inspektor mit dem zerbeulten Peugeot Cabrio. Peter Falk spielte Columbo mehr als drei Jahrzehnte lang, es war eine der dauerhaftesten Hauptrollen der Fernsehgeschichte. Niemand erwartet, dass es Charlie Cale so lange geben wird. Aber es macht Spaß, ein bisschen Zeit mit ihr zu verbringen.