Alles, was True Crime sein kann

Streaming-Tipp KW 4: „German Crime Story“

Schwarz, German Crime Story
German Crime Story: Gefesselt, 2023, Florian Schwarz

„German Crime Story – Gefesselt“: Ambivalent inszenierte Verbrechensgeschichte aus einer Zeit, als Frauen noch Pelze trugen und Kürschner ein angesehener Beruf war (auf Prime Video).

Mit True Crime ist es schwierig. Das Zeug verkauft sich wie geschnitten Brot, in allen Formen (Podcast, Magazin, Buch und Serie natürlich), besser noch als zu Zeiten von Truman Capotes genrebildendem Roman „Kaltblütig“. Der Boom hält seit Mitte der 2010er Jahre konstant an und hat die Geschichten und Mythen um die offensichtlich ungebrochen faszinierende Arschlochparade an Serienmördern – von Ed Gein über Ted Bundy bis zu dem zuletzt durch die schwerst erfolgreiche Netflix-Serie Dahmer – Monster wieder populär gewordenen Jeffrey Dahmer – wieder an die Oberfläche gespült. Die Kritik an True Crime argumentiert meist moralisch und damit in der einfachsten (deswegen aber nicht falschen) Weise: Die sensationalistische Aufbereitung realer Gewalttaten retraumatisiert potenziell die Opfer, und die Kommerzialisierung realer Gewalt ist generell falsch.

Alles richtig. Die Vorwürfe, die mindestens mal implizieren, man sei ein schlechter Mensch, wenn man sich True Crime gern anschaut, liest oder anhört, haben bei allen Appellen an Geschmack und ethisches Empfinden vermutlich nicht einen Rezipienten und nicht eine Rezipientin (soweit man weiß, sind es überwiegend Frauen) vom Schauen, Lesen oder Hören abgehalten. Dazu kommt, dass True Crime halt gerade von der vergleichsweise sicheren Metaebene aus, also als kulturelles Phänomen betrachtet, schlicht sehr, sehr interessant ist. Man kann anhand des Genres und an den Diskursen, die sich um das Genre anlagern, eine erste Ahnung davon bekommen, mit welcher Bedeutung Verbrechen im Erzählmodus versehen werden können, was als „normal“ und „krank“, als „asozial“ im Sinne von „nicht Teil dieser Gesellschaft“ und im Gegenteil als ihr Ausdruck verstanden wird.

Lange Vorrede, kurzer Sinn: An der wirklich gut gemachten Amazon-Serie German Crime Story: Gefesselt lassen sich die Probleme wie auch die von ihm abstrahlende Faszination des Genres wunderbar ablesen. Die sechs Episoden rekonstruieren die Taten des sogenannten Hamburger Säurefassmörders Lutz Reinstrom, die hier, so verspricht es der Vorspann am Anfang jeder Folge, die „wahren Begebenheiten“ bilden, entlang derer die Serie ihre Geschichte erzählt. Lutz heißt jetzt Raik, und Raik foltert Ende der Achtziger in seinem Spießer-Reihenhaus im Bunkerkeller zwei Frauen und entführt ein paar Jahre später eine dritte. Sein letztes Opfer überlebt, die ersten beiden werden nach einem mehrwöchigen Martyrium in Fässer mit Säure gelegt und eingegraben.

Schwarz, German Crime Story: Gefesselt
Angelina Häntsch, Sylvester Groth

Was macht man mit so einer Geschichte misogyner, extrem sadistischer Gewalt?

Man kann sie weitgehend ungebremst als Vorlage für Exploitation nehmen, welche die Figur des Mörders wie auch die sexualisierte Gewalt als starke Attraktoren ausbeutet. Und den Täter am Ende bestraft, damit der Zuschauer nicht merkt, dass er sich mit ihm eher verbunden hat als mit den Opfern.

Man kann so eine Geschichte auch als eine Art Brennglas für eine Sozialstudie nehmen: In welche Gesellschaft ist einer eingebettet, der, auch das zeigt German Crime Story, durch Unverfrorenheit und Kumpanei mit anderen Männern sehr lange unbehelligt durchkommt?

Man kann sie aber auch, daran anschließend, als eine besonders drastische, gewaltvolle Episode im laufenden Geschlechterkampf erzählen. Dann wäre die Polizisten Nela Langenbeck (Angelina Häntsch) die zentrale Figur. Langenbeck, die in Wirklichkeit Marianne Atzeroth-Freier heißt, muss sich als erste und einzige Frau im Hamburger Morddezernat gegen ihre Kollegen durchsetzen.

Oder man kann die Geschichte als Groteske erzählen: Raik Doormann als komisch-schreckliche Figur, die in ihrer Dreistigkeit und, naja, Abartigkeit für Dutzende krass-lustige What-the-fuck-Momente bei Zuschauerin und Zuschauer sorgt. Und egal welchen Modus man wählt, Platz für eine optionale Küchenpsychologie-Deutung des Täters ist immer.

Die Serie German Crime Story versucht nun, alle Optionen zugleich zu realisieren, fliegt dabei fürchterlich auf die Schnauze in mindestens einer, aber nicht jeder Hinsicht, und ist bei all dem sehr unterhaltsam. Man sollte zumindest einrechnen, wie entertaining das alles ist, bevor man – vielleicht ja aus guten Gründen – eine moralische Kritik formuliert.

German Crime Story erliegt der Faszination ihrer Figur, die sie selbst konstruiert. Oliver Masucci spielt den sadistischen Mörder als bedrohliches, komisches und unbremsbares Triebwesen, mit einem übersteigerten Hamburger Akzent, was allerdings durchaus Sinn ergibt, weil an Raik Doormann eben nichts echt ist, was er im öffentlichen Raum oder im Privaten darstellt. Die Mischung aus Dreistigkeit und Schlauheit, mit der hier einer schlimmste Gewaltverbrechen begeht, ist eigentlich unfassbar, und gerade dieses Unfassbare macht Raik Doormann wieder mal zu einer Serienkillerfigur, die als „eigentümlich glamouröser Grenzgänger und Außenseiter“ (Johannes Franzen) fungieren soll; wo in Wirklichkeit wohl nur Wurstigkeit, Elend und eben Gewalt vorliegen.

Schwarz, German Crime Story

Die Täterfigur wäre allein schon genug Spektakel, aber German Crime Story zeigt auch die nackten Opfer im Keller. Das ist ein Punkt, an dem die Inszenierung nicht ganz klar werden lässt, ob die Filmemacher:innen wissen, was sie da tun. Die Kamera blickt gleichsam erotisierend auf die gefesselten, gefolterten Körper, auch wenn sich Schauspielerinnen, Set Design und Dialog-Regie darauf zu insistieren mühen, dass hier ein Gewaltverhältnis und sonst nichts herrscht. An diesen Stellen wirkt die Inszenierung dann doch unmittelbar schief und eben exploitativ.

Es gibt aber auch Momente, in denen der Eindruck entsteht, dass Raik Doormann als praktizierender Sadomasochist sich irgendwie im Kampf gegen die beengende Spießerwelt um ihn herum befindet. In deren Beschreibung ist der Film sehr genau, und die Volte, dass die Gewalt Doormanns zugleich eine drastisch-radikalisierte Fortführung der in dieser Welt bereits herrschenden Geschlechterverhältnisse ist, wird immer wieder zumindest nahegelegt. Ob auf der Grillparty, im Schwimmverein, vor Gericht oder im Umgang mit den Opfern: Die Männer in German Crime Story sind ausnahmslos eingespannt in eine Geschlechtermatrix, in der sie durch die Bank weg, wenn auch in starken Abstufungen, als unangenehme Arschgeigen oder eben unmittelbar bedrohliche Figuren agieren.

Die eigentliche Heldin der Serie – denn Raik Doormann kann der Held ja nicht sein, auch wenn er für das größte Spektakel sorgt – ist die Polizistin Nela Langenbeck, die ihn am Ende festsetzt und überführt; wenngleich ihre männlichen Kollegen, die ihre couragierten Ermittlungen lange Zeit ignoriert oder behindert haben, den Ruhm einheimsen. Das Bild, das German Crime Story von der Hamburger Polizei zeichnet, ist nicht schmeichelhaft. Nela Langenbeck ist dann auch die einzige Ermittlungsinstanz, der es möglich ist, sich den Opfern der Gewalt und ihren Angehörigen empathisch zu nähern und sich in sie einzufühlen. Damit verkörpert sie sozusagen das, was die Kritiker:innen des Genres immer wieder einfordern: einen empathischen Blick auf die Opfer statt einen faszinierten auf den Täter und auf seine angebliche Psychologie. Während die Figur Raik Doormann eben genau das markiert, was viele an True Crime so widerlich finden: den Täter als Faszinosum.

So weit, so ambivalent. Und dann versucht die Serie noch, die Geschichte mit grotesker Komik anzureichern. Doormann wird in seiner Exzessivität, seiner Entgrenzung und seiner Unverfrorenheit von Oliver Masucci als geradezu komische Figur gespielt. Punktuell ist German Crime Story dann auch wirklich witzig. Wobei man an diesem Punkt auch sehen kann, wie man sich den realen Fall zurechthauen und das „true crime“ also „untrue“ werden lassen muss, um so etwas wie Komik und eben auch so etwas wie Fasziniertheit überhaupt herstellen zu können (hier ein weiterführender Essay zum Thema). Lutz Reinstrom hat seinen Sohn und seine Nichte missbraucht, Raik Doormann nicht, und wenn der Missbrauch von Kindern in den Plot von German Crime Story aufgenommen worden wäre, hätte man die Figur nicht in dieser Form konstruieren können. In letzter Konsequenz heißt das: Wenn Kinder im Spiel sind, ist es sofort aus. Im Zusammenhang mit Bildern von gefolterten Frauen sind Faszination und Humor allerdings möglich. Ein übler Befund. Der Schluss liegt nahe, dass auch das kein Zufall ist, sondern gleichfalls mit der herrschenden Geschlechtermatrix zu tun hat.

In der letzten Episode flanscht die Miniserie dann noch eine genretypisch simple Psychologisierung oben drauf: Mutter ist schuld, und Doormann wirkt am Ende plötzlich wie ein Vokuhila-Norman-Bates. Der nicht zu Ende geborene Sohn in Gestalt eines unkontrollierbaren deutschen Kleinbürgergewaltmenschen.

Indem all diese Aspekte in den sechs Folgen konstant drunter und drüber gehen, gelingt es German Crime Story – absichtlich oder nicht – alles, was True Crime sein kann, abzudecken. Oder auch das, was es sein könnte, wenn das Genre seinen allzu faszinierten Blick endlich einmal konsequent und nicht nur alibihalber von den Tätern abwenden und dem, was diese Täter umgibt, zuwenden würde: eine Bild- und Erzählmaschine, die eine krasse, aber genaue Wahrnehmung der sozialen und gesellschaftlichen Voraussetzungen von Verbrechen und Gewalt ermöglicht und diese Realität in ihrer verborgenen Groteskheit zeigt.

 

German Crime Story: Gefesselt
Deutschland 2023, Regie Florian Schwarz
Mit Angelina Häntsch, Oliver Masucci, Sylvester Groth, Valentina Sauca
Laufzeit 6 Episoden zu je rund 45 Minuten