Der Madeleine-Effekt

Streaming-Tipps KW 11

Pachinko, 2022, Soo Hugh

In dieser prallgefüllten Woche dreht sich alles um Proust’sche Erinnerungen: in der großartigen koreanischen Serie „Pachinko“ (Apple TV+) und im wunderbaren koreanisch-amerikanischen Film „Minari“ (Sky); in Chris Markers „Sans Soleil“ (Mubi) sowieso, aber auch in „The Andy Warhol Diaries“ (Netflix). Dazu vier weitere Kurz-Empfehlungen.

Einer alten koreanischen Frau kommen die Tränen bei einer dampfenden Schüssel mit weißem Reis, einst ein verbotener Luxus für japanisch regierte Koreaner. Fässer mit selbstgemachtem, salzigem Kimchi sind ein Symbol der Erlösung inmitten der Not. Die Geschmäcker und olfaktorischen Erinnerungen tragen dazu bei, eine größere Familiensaga von Vertreibung und Assimilation, Opfer und Erfolg der Millionen Koreaner zu erzählen, die während der japanischen Besatzung ihre Heimat Richtung Japan verließen, und von den Hunderttausenden, die nach dem Zweiten Weltkrieg dort blieben, als Korea in zwei Teile geteilt wurde.

Die Freuden und Tiefen von Pachinko (ab 25. März bei Apple TV+), glorreich adaptiert von Soo Hugh und unter der Regie von Kogonada und Justin Chon, sind so greifbar, dass man am Ende der achten Folge dieser großartigen Serie das Gefühl hat, die süße Nussigkeit des Reises und die leichte Säure des Kimchis schmecken zu können.

Wie das 490-seitige gleichnamige Buch der koreanisch-amerikanischen Schriftstellerin Min Jin Lee, ist auch die Adaption episch im Umfang und hinreißend in der Ausführung. Das Drama wird auf Koreanisch, Japanisch und Englisch erzählt und fließt nur so dahin dank herausragender Darsteller:innen, die die generationenübergreifende Reise dieser Familie begründen. Aber die Hauptschlagader des Ganzen ist Sunja, von Minha Kim als junge Frau mit stählerner Anmut und als ältere Frau von der Oscar-Preisträgerin Youn Yuh-jung (Minari) mit verwitterter Weisheit gespielt.

Das üppige Grün von Sunjas Kindheit ist in Pachinko genauso lebendig wie das kühle Blau ihres Enkelsohnes in der modernen Welt. Sogar die schlüpfrigen Kreaturen, die auf dem koreanischen Fischmarkt angeboten werden, sind irgendwie von einem ganz eigenen Tentakel-Charme durchdrungen. „Pachinko“ heißt in Japan ein flipperähnliches Glücksspiel, das oft gegen die Spieler manipuliert wird, was es schwierig macht zu gewinnen. Die Leute spielen trotzdem weiter und hoffen darauf, dass das Schicksal zu ihren Gunsten lächelt. Die Unberechenbarkeit des Pachinko macht es zur perfekten Metapher für das Leben.

Auch in Minari (Sky), einem halbautobiografischen Film von Lee Isaac Chung, der vor Humor, Menschlichkeit und Hoffnung strotzt, nehmen die Schwierigkeiten des Einwandererlebens eine leise, betörende Form an. „Die Oma riecht nach Korea“, sagt der kleine, in Amerika geborene Enkel. Aber neben ungewohnten Gerüchen und fermentierter Chilipaste bringt die koreanische Großmutter, gespielt von Youn Yuh-Jung, noch etwas anderes mit nach Amerika: das titelgebende Minari, ein widerstandsfähiges Kraut aus der Heimat, das hier als ziemlich offensichtliche Metapher dient. Sie pflanzt es leise am Ufer eines nahe gelegenen Flusses und verfolgt gelegentlich seine Assimilation in amerikanischer Erde, die sich parallel zu jener der Familie entfaltet. Steven Yeun und Han Ye-ri spielen ein koreanisches Paar, das während der Reagan-Jahre in Arkansas Landwirtschaft zu betreiben und damit seine beiden kleinen Kinder durchzubringen hofft. Durch die Bescheidenheit des Films wirkt, was wie eine kleine Geschichte erscheint, menschlich gesehen viel größer.

Sans Soleil (Mubi) ist Chris Markers Erinnerungscollage eines Menschenlebens. Die Erzählerin ist eine hypnotische Frauenstimme, die aus Briefen vorliest, die ihr ein Mann geschickt hat. Es ist ein Film, der als widersprüchlicher Begleiter zu Markers 28-minütigem Magnum Opus La Jetée dient. Sans Soleil handelt von einem Mann, der nicht vergessen kann. La Jetée ist ein Film über die Unfähigkeit des Erinnerns. Der amerikanische Kritiker Jonathan Rosenbaum schrieb über den französischen Filmemacher: „Durch die schön geschriebenen, quasi literarischen Texte seiner Filme entwickelt Marker eine Beziehung zu seinem Publikum, die zugleich konfessionell und geheimnisvoll ist, sodass wir gleichzeitig das Gefühl haben, ihn gut zu kennen und ihn überhaupt nicht zu kennen.“

Und wie viel wissen wir eigentlich über Andy Warhol? Oft wird der Erfolg einer Doku-Serie daran gemessen, wie viel Neues sie den Zuschauer:innen über ihr Thema beibringt. Wer nicht die Auszüge aus seinen Tagebüchern aus dem Jahr 1989 gelesen hat, auf dem The Andy Warhol Diaries (Netflix) basiert, der hat vielleicht immer noch das Bild des blassen Mannes mit den weißen Perücken und den Campbell-Dosen im Kopf. Warhol wollte es so, und die von Ryan Murphy produzierte Netflix-Doku-Serie legt unter der Regie von Andrew Rossi genau dar, warum Warhol seine Persönlichkeit so sorgfältig selbst kuratiert hat wie seine Kunst. Warhols Stimme, die seine Worte aus dem Jenseits vorliest, wird via Künstliche Intelligenz erzeugt – was ungefähr so gruselig wirkt wie es klingt.

Außerdem zu empfehlen: Die achtteilige Serie WeCrashed (Apple TV+) befasst sich damit, wie die Mitbegründer von WeWork ein globales Unternehmen mit einem einstigen Wert von 47 Milliarden US-Dollar aufgebaut und versenkt haben. Jared Leto und Anne Hathaway sind köstliche Narzissten in den Hauptrollen (mehr darüber im nächsten Brooklyn Bulletin).

Michael Sarnoskis erster Spielfilm, Pig (Prime Video), ist eine traurig-schöne Verlust-Fabel mit Nicolas Cage, der netterweise an die Anfänge seiner Karriere zurückkehrt – inklusive Boxenstopp in einem unterirdischen Kampfclub für Restaurant-Angestellte (hier unsere Kurzkritik).

Guillermo del Toros Oscar-nominierte Noir-Neuverfilmung Nightmare Alley (Disney+) trifft einen karmesinroten Gipfel in einem schneekalten Höhepunkt trügerischer Brutalität (hier unsere Kritik).

Und zu guter Letzt erscheint am 23. März The Nightingale (Prime Video), eine bewegende Geschichte über Imperialismus, staatlich sanktionierten Völkermord und unvorstellbaren Herzschmerz. Das Rache-Drama von Jennifer Kent (The Babadook) mit Aisling Franciosi in der Hauptrolle wird sich für manche als zu brutal erweisen, aber wer es über die qualvolle erste halbe Stunde hinaus schafft, für den oder die gibt es ein filmisches Juwel zu entdecken (ein Starkes Stück darüber folgt).