Kuriositätenkabinett

Streaming-Tipp KW 44: Grausige Gruselgeschichten

Cabinet of Curiosities, 2022, Guillermo del Toro

„Cabinet of Curiosities“: Guillermo del Toro hat für Netflix eine Horror-Anthologie kuratiert.

Episodenhorrorfilme machen meist großen Spaß. Einfach, weil die Langeweile, wenn eine der Episoden missglückt ist, schnell vorüberzieht, und das Gelungene einen dann um so mehr freut. Nun macht es sich die von Guillermo del Toro produzierte Netflix-Serie Cabinet of Curiosities aber auch nicht leicht: Einige der Episoden sind von einer großen Liebe zum wahnhaften Horror H.P. Lovecrafts geprägt – darunter auch welche, die, anders als Pickman’s Model und Dreams in the Witch House, nicht auf dessen literarischen Vorlagen basieren. Es wimmelt in den Beiträgen fast aller Filmemacher:innen von Lovecraft’schen Themen: groteske Dämonen werden beschworen, Ratten verfolgen einen Grabräuber durch klaustrophobisch enge Gänge.

Der andere Genre-Strang, der hier wieder aufscheint, sind die Horrorcomics des EC-Verlags aus den Vierziger- und Fünfzigerjahren. Die versammelten grauslige Geschichten, waren aber als cautionary tales meist von einer gar nicht mal blöden und oftmals auch sehr fortschrittlichen Moral bestimmt. Gleich die erste, von Guillermo Navarro gedrehte Episode, Lot 36, verbindet EC und Lovecraft. Ein erzreaktionärer, vom Leben und seinem Land enttäuschter Ex-Soldat behandelt seine Mitmenschen wie Müll und bekommt es am Ende mit einem Dämon zu tun. Und bekommt seine wenn auch nicht gerechte, aber doch absehbare Strafe. Exekutiert wird sie von einem Tentakelwesen, das sich in die kleine Reihe von filmischen Monstrositäten einreiht, die den Lovecraft’schen Beschreibungen gerecht werden.

Ähnlich funktioniert auch die im Vergleich schwächere Episode Graveyard Rats von Vinzenzo Natali. Wer Gräber ausräubert, obwohl er weiß, dass er sich damit am Guten, Schönen, Wahren versündigt, wird hier so lange von Ratten gejagt und angeknabbert, bis er Abbitte leistet.

del Toro, Cabinet of Curiosities
Cabinet of Curiosities, S1E6, Dreams in the Witch House

Der Gesamteindruck, den Cabinet of Curiosities hinterlässt, ist ein gemischter. Pickman’s Model (mit einem tollen Crispin Glover in der Titelrolle) krankt daran, dass die Gemälde, die bei den Figuren wahnhafte Phantasien auslösen und sie am Ende zum Schlimmsten treiben, aus der Publikumsperspektive eher unspektakulär daherkommen. Das alte Lovecraft-Problem: Der Versuch, alles zu beschreiben (oder auf dem Bildschirm noch schwieriger: zu zeigen) führt dazu, dass das beschworene Schreckliche schnell läppisch wirkt.

Am souveränsten geht der Regisseur Panos Cosmatos mit dem Problem um, dass der direkte Blick auf das in den Texten als unbeschreiblich Beschriebene das Schreckliche verkleinert. Cosmatos hat mit seinem Film Mandy 2018 eine sehr eigenwillige Mischung aus Genre-Logik, Fiebertraum und artifizieller Retro-Ästhetik fabriziert. Seine Episode The Viewing besteht zu drei Vierteln aus einer langen Gesprächsszene, um dann recht unvermittelt in den Irrsinn zu kippen. Das wirkt so selbstverständlich und ist zugleich so grotesk inszeniert und wunderschön psychedelisch gefilmt, dass es unmittelbar plausibel erscheint.

Nicht alle Episoden von Cabinet of Curiosities sind von Lovecraft inspiriert. A Girl Walks Home Alone at Night-Regisseurin Ana Lily Amirpour hat mit The Outside eine Sozialsatire über Anpassungs- und Schönheitswahn beigetragen. Kate Micucci ist eine Idealbesetzung als Mauerblümchen, die sich gewaltsam vom Mauerblümchen zum Teil der Clique transformiert. Neu ist die Idee, das Suburbia-Setting als soziale Hölle zu inszenieren, nicht. Doch was ist schon neu im Genre? Selten wurde mit so viel destruktivem Spaß konstruiert wie in diesem Fall; der Humor ist hier besonders schwarz.

Wertet man die einzelnen Episoden, ist Cabinet of Curiosities also eine gemischte Angelegenheit. Als Gesamtwerk aber macht das Ganze durchweg Spaß, auch in den nicht so inspirierten Momenten. Einfach weil die Lust am Horror, an den alten wie an den modernen Geschichten und auch an seinen fiebrigen Grenzbereichen, durchweg spürbar ist.