The Bikeriders

Neues von Jeff Nichols – im Kino

Bikeriders, Nichols, Comer, Butler
The Bikeriders, 2024, Jeff Nichols © Kyle Kaplan / Focus Features

„The Bikeriders“: wieder eine Art ethnografischer Film von Jeff Nichols, diesmal in einer toxischen Männerwelt – und mit Starpower.

Im bisherigen filmischen Werk von Jeff Nichols finden sich spirituell erweckte Paranoiker, Sümpfe bewohnende Sträflinge, mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Achtjährige und Menschen, die sich von der Welt nicht vorschreiben lassen wollen, wie sie lieben. Diese Filme sind sehr unterschiedlich in ihrer jeweiligen Tonalität, verbunden sind sie durch ihre Figuren: Außenseiter allesamt, meist in den ländlichen Gegenden der USA wohnend. Menschen außerdem, die ihr Außenseitertum ohne große Exaltiertheit leben, sondern geradezu zwangsläufig, weil es ihnen anders nicht möglich ist. Außerdem spielt Michael Shannon in allen der bislang sechs Filme Nichols‘ mit. Ein weiteres verbindendes Element.

In The Bikeriders, Jeff Nichols‘ neuem Film, wirkt das Außenseitertum vergleichsweise selbstgewählt. Für sein Skript hat Nichols sich zum ersten Mal eine dokumentarische Vorlage genommen: das gleichnamige Buch des Fotografen und Dokumentarfilmers Danny Lyon, zuerst erschienen 1968. Manche der Fotos von Lyon werden bis ins Detail nachgebaut. Lyon taucht dann auch auf der Leinwand auf, als teilnehmender Beobachter mit Kamera und Aufnahmegerät. Die Prämisse lässt The Bikeriders zu einem ethnografischen Film werden. Die Inszenierung vermeidet jeden wertenden, sei es abschätzigen oder glorifizierenden Blick. Aber er ist an den Männern, die er zeigt, sehr interessiert. Der Mensch, der Danny Lyon die Welt des Motorradclubs erschließt, ist eine Frau, Kathy (Jodie Comer). Aber die Kamera ist, wie Kathy auch, fasziniert von den gewaltbereiten Männern und dem Versprechen auf ein Gefühl der Freiheit.

Bikeriders, Nichols, Hardy, Butler
Tom Hardy, Austin Butler

Dieses Versprechen bleibt dann aber uneingelöst. Wir sehen Männer, die sich gegenseitig verprügeln, saufen und Machtkämpfe miteinander ausgetragen. Versprechen und Realität: Die Hierarchie ist straff, jeder spielt seine ihm zugedachte Rolle – ein Weirdo, Zipco (Michael Shannon); ein schöner Outlaw, Benny (Austin Butler) und ein charismatischer Anführer, Johnny (Tom Hardy).

Der Motorradclub, der sich in Nichols‘ Film „The Vandals“ nennt, ist ein soziales Gefüge wie viele andere auch, nur dass sich die Hierarchien, die Ein- und Ausschlüsse und die zwischenmenschlichen Dynamiken vor allem anderen über direkte Gewaltakte oder die Drohungen mit Gewalt organisieren. Dieser Ökonomie der Gewalt gilt das ganze Interesse, und The Bikeriders, der Film, dokumentiert sie anders als „The Bikeriders“, das Buch, nicht als Zustand, sondern bringt sie in einen Plotverlauf: Mit der Expansion und der Streuung des Clubs in verschiedene lokale Organisationen, ziehen die Vandals immer mehr ungebrochen Gewaltaffine an. Ein vorhersehbarer Gang abwärts, aber bei aller Erwartbarkeit gelingt es Nichols doch, seine Figuren interessiert, aus der mittleren Distanz heraus zu zeigen und sie zugleich so nahe kommen zu lassen, dass The Bikeriders auch ohne überraschende Wendung trägt. „Character driven“, im Gegensatz zu „plot driven“, nennt man das in akademischen und cinephilen Filmdiskursen.

Und Charaktere gibt es in diesem Film zur Genüge, allesamt verschiedene Ausprägungen einer Männlichkeit, die sich aus einer gesellschaftlich völlig machtlosen Position heraus Macht und Dominanz erstreitet, und zwar schlicht mit physischer Gewalt. Der einzige Triumph, den wir in The Bikriders zu sehen bekommen, ist der erhebende Moment, als die Vandals andächtig vor einer Bar stehen, die gerade abfackelt, während Feuerwehr und Polizei sich nicht zu intervenieren trauen. „Die haben mehr Angst vor uns als wir vor denen“, erklärt Johnny und schaut versonnen in die Flammen.

Da ist die Abwärtsdynamik aber schon im Gang. Bald werden die letzten Regeln ignoriert, und eine jüngere, entgrenzte Generation setzt sich durch. Der geht es nicht mehr um diffuse Rebellion und zelebriertes Außenseitertum, stattdessen wandelt sie den Club in eine kriminelle Vereinigung um. The Bikeriders weiß allerdings, dass die Entwicklung nicht hin zu etwas Wesensfremdem läuft. Auch wenn die Älteren noch so etwas wie einem Ethos anhingen, ist die Entfesselung der Gewalt in ihren Dynamiken bereits enthalten wie das Gewitter in der Wolke. Wie diese Dynamik mit Männlichkeitsritualen und dem Willen eigentlich vollkommen machtloser Menschen zur Macht zusammenhängt, hat Jeff Nichols mit den Mitteln der Erzählkinos gleichsam dokumentiert. Auch The Bikeriders hat, wie seine vorigen fünf Spielfilme, etwas ausgesprochen Dokumentaristisches. Ethnografisches Kino eben.

 

The Bikeriders
USA 2023, Regie Jeff Nichols
Mit Jodie Comer, Austin Butler, Tom Hardy, Michael Shannon
Laufzeit 116 Minuten