Robot Dreams

Unterbrechungen der Liebe – im Kino

Berger, Robot Dreams
Robot Dreams, 2023, Pablo Berger

„Robot Dreams“: Er sieht aus wie ein animiertes Kinderbuch, aber dieser Stummfilm ist im Stillen herzzerreißend.

Träumen Androiden von elektrischen Schafen? Diese Frage hat sich schon Ridley Scott in Blade Runner gestellt und vor ihm der amerikanische Schriftsteller Philip K. Dick.

In Pablo Bergers Robot Dreams träumt der Roboter jedenfalls von Gänseblümchen, die wie in einem alten Film von Choreograph Busby Berkeley in einer eigentümlichen Formation um ihn herumtanzen. Er stellt sich dann vor, dass er der Zinnmann ist und New York City das Zauberland Oz. Aber vor allem träumt er von seinem besten Freund, den er verloren hat.

Mit besagtem Freund beginnt der Animationsfilm Robot Dreams, der trotz oben erwähnter Fantasie und einer Menge vermenschlichter Tiere nichts mit einer gewissen Blockbuster-Zeichentrickschmiede in Hollywood gemein hat (außer man zählt die ersten fünf Minuten von Pixars Up dazu). Hier liegt von Anfang an Melancholie in der Luft. Und Sehnsucht. Ganz viel Sehnsucht. Es wird kein einziges Wort gesprochen. Es genügt, wenn wir sehen, wie unser Held, ein grauer Hund namens „Dog“, seine dunklen Nächte im kalten Flimmern seiner Bildröhre verbringt, um sich von dem glücklichen Pärchen (übrigens eine Kuh und ein Elch) im Fenster auf der anderen Straßenseite abzulenken. Er ist einsam.

Berger, Robot Dreams

Dog stochert in seinem Fertigessen herum, da läuft plötzlich eine Werbung für Roboter, die als Freunde verkauft werden. Er bestellt sich einen und siehe da, sobald er seinen metallenen Begleiter zusammengebaut hat, werden die beiden unzertrennlich! Ob der Hund und der Blechmann ein Paar oder Freunde sind, spielt keine Rolle. Das hat auch Pablo Berger betont. Liebe ist Liebe und von nun an lebt Dog wirklich sein bestes Leben. Es sind die Achtziger, also fahren die beiden glückselig Rollschuh im Central Park und genießen die Aussicht auf die Twin Towers vom Empire State Building. Sie hocken gemeinsam auf einer Parkbank unter der Queensboro Bridge wie einst Woody Allen und Diane Keaton in Manhattan und spielen daheim auf dem Sofa Pong (eines der ersten Videotennis-Spiele).

Im Hintergrund läuft der Wohlfühlhit „September“ von Earth, Wind & Fire; der Komponist Alfonso de Vilallonga wird die Melodie später immer wieder in seine Partitur integrieren. Überhaupt, die Liebe zum Detail: Wenn die beiden sich eine VHS von The Wizard of Oz ausleihen, dann stammt die nicht von irgendwo, sondern von Kim‘s Video, einem legendären Videoladen im East Village (hier meine „Ode“ dazu).

Aber der Herbst kommt und ein schöner Tag am Strand endet mit einer Tragödie. Die Gelenke des Roboters sind vom Meerwasser eingerostet, er kann sich nicht mehr bewegen. Da er seinen Freund nicht nach Hause tragen kann und der Strand bis zum nächsten Sommer gesperrt wird, sieht Dog sich wieder allein gelassen und der Roboter bleibt zurück in der Kälte. Hier beginnen wir den Titel des Films zu verstehen – eine Anspielung auf Philip K. Dicks 1968er Kult-Roman „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ Der Roboter beginnt die eingangs erwähnte surreale Fantasie zu träumen, aber der Traum wird schnell zum Alptraum. Dog hat ihn durch ein neues Roboter-Modell ersetzt!

Die Geschichte ist so herzzerreißend wie sie klingt. Es geht um die sehr menschliche Angst davor, allein gelassen zu werden und darum, wie man Verlust verschmerzt. Was wirklich bemerkenswert ist: Robot Dreams kommt komplett ohne Worte aus. Natürlich nicht ohne Ton (der ist großartig und erinnert an die Jazz-Stücke von Vince Guaraldi), aber ohne Dialog. Fast noch bemerkenswerter ist, dass dies Pablo Bergers erster Animationsfilm ist. Er beruht auf einem genauso wortlosen Comic der Amerikanerin Sara Varon, der auf Deutsch unter dem Titel „Robo und Hund: Wahre Freundschaft rostet nicht“ erschienen ist. Rostet sie doch?

Der Spanier Berger hat jedenfalls ein Faible für stille Geschichten; sein wohl bekanntester Film Blancanieves (2012) war eine ungewöhnliche, stumme, schwarzweiße Neuinterpretation von Schneewittchen. Im Gegensatz dazu ist sein neuer Film ein bunter, der ausschließlich von anthropomorphen Tieren bevölkert wird. Ein Hund liest Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltiere“. Ein Oktopus spielt Schlagzeug in der U-Bahn-Station. Die Polizei wird von Bullen dargestellt. Was die Animation betrifft: Die Zeichnungen sind ein kleines 2D-Wunder. Die Münder sind einfache Linien und die Augen nur schwarze Punkte, aber das Ende des Films ist alles andere als zweidimensional. Die putzigen Tiere holen die jüngeren Zuschauer ab. Ein reiferes Publikum dagegen wird etwas Trauriges und doch auch Tröstliches über die Endlichkeit und Unendlichkeit aller Dinge sehen.

 

Robot Dreams
Spanien/Frankreich 2023, Regie Pablo Berger, basierend auf der Graphic Novel von Sara Varon
Mit den Stimmen von Ivan Labanda, Albert Trifol Segarra
Laufzeit 102 Minuten