Liebe wird bleiben

Film als Vorwand: „An einem schönen Morgen“ – im Stream oder auf Disc

Hansen-Løve, An einem schönen Morgen
Un beau matin, 2022, Mia Hansen-Løve

„An einem schönen Morgen / Un beau matin“: Mia Hansen-Løve legt einen weiteren schönen Film vor, erneut ohne Scheu vor genauer autobiografischer Basierung.

Erfahrungen fließen in die Kunst ein und dann auch wieder, wenn man so sagen kann, hinaus, aus den Bildern und hin zum Publikum. Die Filmemacherin Mia Hansen-Løve hat die autobiografische Basis ihrer Arbeit immer offengelegt: die erste Liebe in Eine Jugendliebe (Un amour de jeunesse), das Leben des eigenen Bruders in Eden, der Selbstmord des Produzenten ihrer Filme in Der Vater meiner Kinder (Le père de mes enfants), die Mutter in Alles was kommt (L’avenir), die Beziehung mit dem Regisseur Oliver Assayas in Bergman Island (hier unser Essay dazu). „Ich habe keine Angst davor, sehr spezifisch zu sein“, hat Hansen-Løve im Interview erzählt. Die Idee: Je genauer die eigene Erfahrung ins Bild gesetzt wird, desto eher findet die Kamera Bilder und Momente, mit denen Zuschauerin und Zuschauer sich verbinden können.

Im Falle von An einem schönen Morgen (Un beau matin) ist es der Tod des unter einer Nervenkrankheit leidenden Vaters, einem Philosophieprofessor, der sein Leben im Denken verbracht hat. Die Höhe des Sturzes ist groß: in den Regalen Arendt, Adorno, Kafka und Canetti, im Kopf ist am Ende Mus, der Vater kann nichts mehr sehen und weiß nicht mehr, wo er ist. In einem Pflegeheim nämlich.

Die Bücher, die in den Regalen von Georg (Pascal Greggory) stehen, sind tatsächlich die Bücher von Hansen-Løves Vater. „Ich nutzte den Film als Vorwand, sie aus dem Keller zu holen, wo sie eingelagert waren, und ans Licht zu holen. Mich irritiert es, wenn ich auf der Leinwand Fake-Bibliotheken mit Buchattrappen sehe. Als Lehrertochter fällt mir das sofort auf. Meine Figuren sollen mit echten Büchern leben.“

In An einem schönen Morgen erzählt Hansen-Løve weiter von der Gegenwart des Pariser Bildungsbürgertums. Und findet in der Geschichte von Sandra (Léa Seydoux), der Tochter, die sich fünf Jahre nach dem Tod ihres Mannes noch einmal neu verliebt, eine Geschichte, die über ein Portrait ihrer Klasse hinausreicht. „Universalität ist nichts, was wir bewusst erstreben sollten“ – sondern etwas, das auch diesem Film Hansen-Løves sozusagen unterläuft, und sich gerade dann einstellt, wo die Beschreibung besonders genau und eben spezifisch wird.

An einem schönen Morgen erzählt von der Krankheit und der Liebe ganz undramatisch, aber alles andere als indifferent. Wie auch in den übrigen Filmen Hansen-Løves und vor allem in ihrem besten, Bergman Island, bleibt die Tonalität des Ganzen angenehm verwaschen, und trotzdem stellt sich schnell das Gefühl ein, dass jedes Bild, jede Geste bei aller Beiläufigkeit auf dem Punkt sind. Es geht ums Ganze, und dieser Kampf ist ein alltäglicher, deswegen braucht es hier kein Ausnahmezustandstheater. Auch weil man als alleinerziehende Mutter natürlich trotz allem – dem neuen Freund, der keinen Schnitt machen kann und weiter mit seiner Frau schläft, dem Philosophen, der das Denken verlernt – immer weitermachen muss. Und so macht auch der Film immer weiter und begleitet seine Figuren durch ein Jahr ihres Lebens wie Sandra ihre Tochter: konstant präsent, anteilnehmend, aber immer pragmatisch in der Montage der Bilder, ohne sich im Drama zu verlieren (es ist wohl kein Zufall, dass die Hauptfigur dieses Films, der auch von der Übersetzbarkeit des Lebens in Bilder und Erzählungen handelt, als Dolmetscherin arbeitet). Und als sei das des Glückes nicht genug, nimmt An einem schönen Morgen dann auch noch ein glückliches, offenes Ende. Mitsamt einem tröstenden Abspann-Song von Bill Fay: „Love will remain / When knowledge has passed away / Love will remain“.

Flat auf Mubi, gegen moderates Entgelt auf diversen Plattformen bzw. digital und auf Disc bei Weltkino/Leonine

 

An einem schönen Morgen
Frankreich 2022, Regie Mia Hansen-Løve
Mit Léa Seydoux, Pascal Greggory, Melvil Poupaud, Sarah Le Picard
Laufzeit 112 Minuten