Ihro Gnaden und der Bettelmann

Wechseljahre eines Kleiderständers: „Sisi & Ich“ von Frauke Finsterwalder – im Kino

Finsterwalder, Wolff, Hüller, Sisi & Ich
Sisi & Ich, 2023, Frauke Finsterwalder

„Sisi & Ich“ ist schauspielerisch ein Treffen der Gigantinnen und erzählerisch ein Raum irrwitziger Spiegelungen, Verzerrungen und Projektionen. Jetzt in AT und DE im Kino.

Ihre Kaiserlich-Königliche Hoheit Elisabeth von Österreich-Ungarn ist einem Kleiderständer vergleichbar. Jede:r kann etwas anderes dranhängen: Ernst Marischka die Rüschen und Schleifen und Krinolinen in Zuckerguss-Rosarot, Luchino Visconti das elegant beengende Prinzesskleid (ja, das heißt tatsächlich so) in tragödischem Schwarz; früh schon hinterließ der Maler Franz Xaver Winterhalter ein Nachthemd dort, kürzlich erst fügte die Schriftstellerin Karen Duve ein Reitkostüm hinzu, wenig später sorgte die Kunsthistorikerin Miriam Szwast für ein paar bequeme Wollklamotten (mehr dazu hier). Die Gestalt der „Sisi“, wie sie übergriffig-vertraulich von allen allerorts genannt wird, funktioniert wie jenes alte Kinderspielzeug: Figurinen aus Papier (freilich in Unterwäsche), an denen Kleider aus Papier befestigt werden können; ein und dasselbe papierne Menschlein war solcherart mal als Dienstmagd, mal als Große Dame vorstellbar, mal als Kaiser, mal als Bettelmann – je nach Gewand, und die Wechsel konnten sich rasch vollziehen.

Kaiser Franz Josef I. kann ein Lied davon singen, mutierte er doch unmittelbar zum Bettelmann, wenn es um seine Sisi ging. Die nämlich wollte nicht neben ihm auf dem Thron repräsentieren, weil ihr das Hofzeremoniell quasi auf den Zeiger ging und das gaffende Volk sie enervierte, und also verabsentierte sie sich, wann immer es irgend möglich war und schließlich einfach so und ohne Rücksicht und auf Dauer. Und der Kaiser musste hinterher.

Hüller, Schleinzer, Sisi & Ich
Markus Schleinzer, Sandra Hüller

Es gibt eine Szene in Frauke Finsterwalders Sisi & Ich, dem derzeit topaktuellsten Mascherl am oben erwähnten Kleiderständer, in der reißt Markus Schleinzer in der Rolle Franz Josefs die Perspektive zur Abwechslung mal augenblicksweise an sich. Nichts monarchisch Distanzierendes oder feministisch Interpretierendes täuscht hier darüber hinweg, dass da einem Mann, der sich mitunter doch recht einsam fühlt, der Austausch mit und die Wärme seiner geliebten Frau fehlt. Und umso trauriger die Szene, als klar ersichtlich wird, dass unwiderbringlich verloren ist, was der Gatte – der sich erwiesenermaßen auf den ersten Blick in das damals 15-jährige Bayernmadl verknallt hatte – ersehnt. Dass er sodann nach alter Patriarchen-Art erzwingt, was ihm nicht freiwillig gegeben wird, trägt ihm einen bösen Fall von Bauchgrimmen ein – und dem Film einen Ausflug in den Klamauk, den er nicht nötig gehabt hätte.

Zu Beginn jedoch, als die Handlung von Sisi & Ich einsetzt, frönt Elisabeth Amalie Eugenie von Wittelsbach auf Korfu – wo sie sich den Palast Achilleion hat erbauen lassen, unbehelligt von Verpflichtungen und Erwartungen – wenn nicht dem Müßiggang, so doch der Exzentrik. Wer mithalten will, muss bereit sein, sich Gewalt anzutun; was soviel heißt wie: stundenlange Märsche über Stock und Stein bei minimaler Nahrungsaufnahme. Hofdame Marie Festetics kann nicht mehr, sie erklärt sich für „zu alt“, und so kommt Irma Sztáray zum Handkuss. Sie wird auch zugegen sein, als Dero Durchlaucht am 10. September 1898 am Genfer See promenierend vom autonom agierenden Anarchisten Luigi Lucheni mit einer zugespitzten Feile erstochen wird.

Wobei auch Finsterwalder zum bittersüßbösen Ende – und da ist sie sich mit Marie Kreutzer einig, die ihrer Sisi in Corsage unter anderem mit einer genderfluiden Identität ein paar Freiräume erdichtete – mit einer Überraschung aufwartet, die wiederum im Kontext der Leidenschaften steht, die das von ihr konzipierte Mythem zu bündeln in der Lage ist.

Schauspielerisch gesehen ist Sisi & Ich ein Treffen der Gigantinnen: Susanne Wolff als Sisi, Sandra Hüller als Ich sowie, jeweils kurz und prägnant, Johanna Wokalek als Marie Festetics, Angela Winkler als Ludovika von Bayern und Sibylle Canonica als Gräfin von Sztáray. Das ist ein Aufgebot, das Tiefe und Dimension verspricht und hält. In der Tat entsteht im Zusammenspiel dieser Grandes Dames ein Raum irrwitziger Reflexionen – der Figuren und ihrer Selbstbilder, der Wahrnehmung durch die Anderen, der Spiegelungen und Verzerrungen –, eine endlose Reihe von Projektionen, in der sie sich vor sehr, sehr langer Zeit schon vollständig aufgelöst hat, jene Person, nach der doch immer noch so unermüdlich und hartnäckig gesucht und geforscht wird. Und die in all dieser Suche und all dieser Forschung sich nunmehr endgültig transformiert findet in jenen Kleiderständer, als der sie sich damals schon empfunden haben musste. Und wenn sie nicht gerade als ein solcher diente, dann war sie bestimmt eine ziemlich … ja, was eigentlich?

 

Sisi & Ich
DE/CH/AT 2023, Regie Frauke Finsterwalder
Mit Susanne Wolff, Sandra Hüller, Markus Schleinzer, Johanna Wokalek, Angela Winkler, Sibylle Canonica
Laufzeit 132 Minuten