Eureka

Ein Storchenvogel und keine Erklärung: Erstaunliches von Lisandro Alonso – im Kino

Alonso, LaPointe, Eureka, 2024
Eureka, 2023, Lisandro Alonso

„Eureka“: drei rudimentär bleibende Geschichten über Landnahme, Einsamkeit und Entwurzelung, wagemutig-wundersam verknüpft vom argentinischen Solitär Lisandro Alonso.

Das erste Kapitel ist angesiedelt in einem zutiefst hässlichen mythischen Wilden Westen, das zweite im sehr realen, trostlos verelendeten Pine Ridge Reservat in South Dakota, das dritte im nicht mehr unberührten brasilianischen Dschungel. Ein Revolvermann und besorgter Vater, eine Polizistin und erschöpfte Frau, ein Mörder und unglücklich Verliebter – jeweils beileibe nicht die einzigen, aber alle drei auf der Flucht, auch vor sich selbst. Tolldreiste Übergänge verknüpfen drei rudimentär bleibende Geschichten, drei eher zitierte Genres, drei den Raum aufziehende Formate: In und mit Eureka entschlägt sich der argentinische Autorenfilmer Lisandro Alonso einmal mehr herkömmlicher Muster filmischer Dramaturgie, unterzieht ein narratives Geflecht der Zerreißprobe. Auf dass eine Sphäre der Möglichkeiten entstehe, in der jene schmerzhafte Ahnung davon wirksam werden kann, was gewaltsame Landnahme heißt und wie Entwurzelung sich anfühlt, gedacht und betrachtet im Kontext der Entdeckung und Eroberung der beiden Amerikas.

Es nervt, dass dieser träge mäandernde und dabei vor sich hin philosophierende, wagemutig-wundersame Film so hartnäckig mit den Gesichtern von wahlweise Viggo Mortensen und Chiara Mastroianni – beide agieren in Nebenrollen – beworben wird. Kaum aber mit dem von Sadie LaPointe oder dem Alaina Cliffords oder jenem von Adanilo Costa, deren Handeln zentral ist. Wobei das natürlich kein Wunder ist, denn diese drei kennt keiner und die anderen beiden die ganze Welt. Und weil auch mit Filmen, die Kunst sind, Kommerz gemacht werden muss, bedient die PR sich eben zugkräftiger Visagen – das sagt allerdings sehr viel mehr über das Filmbusiness aus als über den Filmgehalt.

Eureka, Lisandro Alonso

Doch auch die mit diesem Gehalt befasste Filmpublizistik bekleckert sich nicht eben mit Ruhm, wenn es darum geht, Eureka dingfest zu machen. Fabuliert sie doch zum Beispiel von einer allwissenden Erzählerin namens Eureka, die in Gestalt eines Zugvogels durchs Geschehen führen würde. Oder sie erklärt die Hauptprotagonistin des zweiten Teils kurzerhand für tot, nur weil diese sich in der Polizei-Funkzentrale, von der sie ohnehin keine Unterstützung zu erwarten hat, nicht mehr zurückmeldet. Die Internet Movie Database verzeichnet gar folgende Storyline: „Murphy searches for his daughter after she is kidnapped by the outlaw Randall.“ Das stimmt zwar für die ersten 25 Minuten, zeigt aber nur an, dass die von Mortensen gespielte Figur des Landvermessers, die am Ende von Alonsos voriger Arbeit Jauja (2014) auf der Suche nach seiner verschwundenen Tochter gleichermaßen irgendwie verschwand, nunmehr (samt Tochter) in diesen vorliegenden Film herübergewandert scheint. Was mag ihm unterwegs wohl alles zugestoßen sein? Vielleicht hat Lisandro Alonso sich damit ja auch einen Scherz erlaubt? Will falsche Fährten legen, sein Publikum aufs Glatteis führen, damit der filmtitelgebende Ausruf „Eureka!“ – den seinerzeit Archimedes von Syrakus in plötzlicher Erkenntnis getan haben soll – am Ende mit umso größerer Überzeugung erschallt.

Unwahrscheinlich.

Undsoweiter. Von der Aufgabe überfordert, versucht der bockende Verstand logische Abfolgen herzustellen, gaukelt Stringenz vor, wo Assoziation herrscht, füllt Ellipsen und verleiht Bedeutung, wo all dies nicht ist und es all dies auch nicht braucht. Alles was es braucht, ist das Gesicht der Laiendarstellerin Sadie LaPointe, die in einer Großküche der High School des Reservats ruhig und gefasst von der alltäglichen Verzweiflung (der Lakota) spricht – und während sie spricht, steht diese Verzweiflung ebenso authentisch und wahr in der Küche und im Kinosaal wie das nicht minder verzweifelte Bemühen (der Lakota) darum, die Hoffnung nicht aufzugeben und am Leben zu bleiben. Später wird sie sich in einen Vogel verwandeln – jenen auch am Plakat abgebildeten Jabiru, ein ziemlich imposanter, vorwiegend in Südamerika beheimateter Storchenvogel mit prägnant schwarzrotem Hals – und weit ausschwingend die Verbindung zum dritten Teil des Films herstellen, der zu den Indigenen im Dschungel abtaucht, unter anderem vom Goldfieber erzählt und damit an die Conquistadores erinnert. Die natürlich nicht auftauchen, jedenfalls nicht in jener topfdeckeltragenden Variation, die wir seit dem Herzog’schen Kinski-Aguirre fürchten gelernt haben.

Es hilft nicht, Sie werden hier nichts erfahren, was nur ansatzweise einer Erklärung ähnelt. Erklärungen stutzen diesem seltsamen Storchenvogel nur ohne Not die Flügel. Dabei hält der doch so viel Erkenntnis unter seinen Schwingen bereit: über das Verhältnis von Narration und Form, über Film als Mittel der Weitergabe der Geschichte von Marginalisierten und Marginalisiertem, über den Schmerz der Gegenwart, der sich aus der Vergangenheit speist. Nicht zuletzt natürlich über das Rationale, das so gerne dem Imaginären beikäme und immer wieder und so auch diesmal krachend scheitert.

Und nun also doch noch: Eureka!

 

Eureka
Argentinien 2023, Regie Lisandro Alonso
Mit Alaina Clifford, Sadie LaPointe, Adanilo Costa, Rafi Pitts, Viggo Mortensen, Viilbjørk Malling Agger, Chiara Mastroianni
Laufzeit 147 Minuten