Der letzte Pokal

Ätzende Patriarchen-Satire: El buen patrón – im Kino

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El buen patrón, 2021, Fernando León de Aranoa

„El buen patrón“ von Fernando León de Aranoa, mit Javier Bardem in der Titelrolle – dürftig übersetzt als „Der perfekte Chef“ –, lässt vor unseren Augen ein preisgekröntes Patriarchat zerbröckeln. Hochsommerliche Kino-Empfehlung.

An der Wand des Esszimmers in der großzügigen Villa, die er sein Eigen nennt, präsentiert Julio Blanco die Auszeichnungen, die er in seinem Unternehmerleben als Besitzer einer Waagen-Fabrik bereits erhalten hat. Es sind deren nicht eben wenige; jeder der Preise steht auf seinem eigenen kleinen Piedestal und wird von seinem eigenen kleinen Scheinwerferchen angestrahlt – eine ganze Wand voll! Und was das Allerbeste ist: Diese Wand liegt unübersehbar mitten im Blickfeld all jener, die sich um Blancos Esstisch versammeln. Familie, Freunde und Bekannte, sie alle erhalten auf diese Weise die Gelegenheit zu Bewunderung und Ehrerbietung. Soviel zum Thema Bescheidenheit.

el buen patrón, bardem
Javier Bardem

Julio Blanco, der Waagen-Fabrikant, ist der Titelheld von Fernando León de Aranoas aktuellem Film El buen patrón. Im deutschen Sprachraum ist der Film auch unter dem Titel Der perfekte Chef im Verleih, solcherart die im spanischen Original gegebene Konnotation des feudalistischen „guten (Lehns)Herrn“ oder „Sorge tragenden (Schutz)Patrons“ unter den Tisch fallen lassend. Das ist insofern nicht lässlich, als de Aranoa und sein kongenialer Hauptdarsteller Javier Bardem – nach Los lunes al sol (2002) und Loving Pablo (2017) arbeiten die beiden hier zum dritten Mal und neuerlich traumwandlerisch sicher zusammen – sich zum Gegenstand ihrer ätzenden Satire die Figur des Patriarchen erkoren haben.

Und Blanco ist nicht einfach irgendein Chef, und schon gar nicht ist er als solcher perfekt, wie sich im weiteren Verlauf erweisen wird. Blanco ist der Herr über Land und Leute (Familie und Frauen), er ist derjenige, der das Sagen hat (wenn das Brot spricht, haben die Krümel Pause), er ist der Don, er hat die Macht. Es ist dieser Mann also einerseits eine tief im spanischen Machismo verwurzelte Gestalt, in der auch die Tradition des Großgrundbesitzers und der von diesem abhängigen Leibeigenen mitschwingt. Und andererseits ist er der Generalstellvertreter eines globalisierten Patriarchats, dem zwar das Wasser bereits bis zum Halse stehen mag, das aber (leider) immer noch recht gut obenauf schwimmt.

Warum eigentlich? Weil es sich zu tarnen versteht. Wie Blanco, der sich nahbar gibt und verbindlich tut, verständnisvoll und aufgeschlossen, eben wie einer, der mit seinem Führungsstil im 21. Jahrhundert angekommen ist; das wird heutzutage so erwartet, also macht Mann buchstäblich gute Miene zum bösen Spiel. Dass es sich bei dieser jovialen Miene um eine bröckelnde, von Rissen durchzogene Fassade handelt, wird allerdings gleich in den ersten Szenen von El buen patrón deutlich; von Beginn an nämlich legt Bardem sein Spiel zweigleisig an und erteilt damit wie nebenher auch noch eine freundliche Masterclass in allerhöchster Darstellungskunst (wie auch z.B. die NZZ findet): Er spielt den selbstgefälligen Chef und kommentiert ihn zugleich kritisch, indem er, kaum spürbar zwar, aber eben doch, auf Distanz zur Figur bleibt und mit ihr Schlitten fährt. Mehr oder weniger direkt in den Abgrund.

Die Krise dieses Patriarchats und dieses einen Dons beginnt, weil Blanco eine weitere Trophäe an seine Wand hängen will, denn dort findet sich noch eine lästige Lücke. Natürlich soll, wenn die den angestrebten Preis vergebende Jury sich einfindet, um den Betrieb in Augenschein zu nehmen, alles zum Besten stehen, picobello und blitzblank sein. Da macht es dann natürlich keinen schlanken Fuß, dass draußen vor dem Fabriktor ein kürzlich Entlassener campiert und lautstark protestiert. Blöd auch, dass der Werksleiter einen Bock nach dem anderen schießt, weil ihm von seiner Frau Hörner aufgesetzt werden. Verheerend aber wird es, als Julio Blanco mit der neuen Praktikantin aus der Marketingabteilung macht, nun ja, was Chefs halt so machen…

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Almudena Amor

Allein das Mienenspiel Bardems, wenn seine Figur realisiert, auf welch dramatische Art und Weise dieser Schuss nach hinten losgegangen ist, ist den Besuch von El buen patrón wert. Es gibt viele weitere Gründe, z.B. 14 Nominierungen und sechs Auszeichnungen mit dem spanischen Filmpreis Goya, darunter Bester Film, Beste Regie und, eh klar, Bester Schauspieler.

Und während wir uns noch amüsieren, bleibt uns das Lachen schon im Halse stecken; die Wahrheit, die hier so nonchalant enthüllt wird, sie schmeckt bitter. Und die Kehrseite der Komik ist das Grauen.

(Wie umgekehrt eine Fake-Disruptorin des Patriarchats aussieht, können Sie hier lesen.)

 

El buen patrón / Der perfekte Chef
Spanien 2021, Regie und Drehbuch Fernando León de Aranoa
Mit Javier Bardem, Manolo Solo, Sonia Almarcha, Almudena Amor
Laufzeit 116 Minuten