The Nightingale (2018)

Herausragendes Rape-Revenge-Movie von Jennifer Kent – auf Prime Video

The Nightingale, 2018, Jennifer Kent

Eine Frau wird vergewaltigt. Sie schwört Rache und setzt sie erbarmungslos um. Grausamkeit wird mit Grausamkeit vergolten. Rape – Revenge. Es gibt ein ganzes, adäquat dem Horror assoziiertes Sub-Genre, das sich diesem archaischen Erzählmotiv widmet. Jedoch bleibt es meist in Effekthascherei stecken und beutet das weibliche Opfer unter dem Deckmäntelchen vermeintlicher Selbstermächtigung lediglich ein weiteres Mal aus. Nicht so The Nightingale von Jennifer Kent, ein vor dem Hintergrund des „Black War“ im kolonialen Tasmanien des Jahres 1825 angesiedeltes Rachedrama. Darin verfolgt die irische Arbeitssklavin Clare einen Trupp englischer Soldaten, der ihr in mehrfacher Hinsicht Gewalt angetan hat, durch den Urwald – begleitet von dem Aborigene-Spurenleser Billy.

2014 hatte die Australierin Kent in The Babadook Formeln des Horror-Narrativs und psychosoziale Motive ineinander reflektiert und einen der herausragenden Genrebeiträge der vergangenen Dekade vorgelegt. In ihrer zweiten Regiearbeit The Nightingale bilden die im 19. Jahrhundert herrschenden Gewaltverhältnisse das Spannungsfeld, in dem die Kategorien Klasse, Rasse und Geschlecht die unterschiedlichen Handlungsradien der Protagonist:innen determinieren. Dabei steht die weiße Arbeitssklavin zwar noch knapp über dem „Blackfella“, beide aber eindeutig unter den (weißen, männlichen) Vertretern der englischen Kolonialmacht. Woraus sich nun aber gerade kein automatischer Zusammenschluss der Schwachen gegen die Starken ergibt. Kent, die mit The Nightingale neuerlich ein eigenes Drehbuch verfilmt, fabuliert kein romantisches Märchen von der revolutionären Kraft der Solidarität der Unterdrückten; sie entwirft vielmehr eine ethnologisch-historiografische Studie der unendlichen Facetten von (Ohn)Macht. Die schließlich jedoch nicht nur die bittere Erkenntnis bereit hält, dass die blutige Rache der bösen Tat in nichts nachsteht, sondern in der auch eine überraschende Form der Vergeltung geübt wird; schmerzlich und unabweisbar, wie die Schönheit jenes letzten Sonnenaufgangs, der vom Ende wie vom Neubeginn gleichermaßen kündet.

(In DE flat auf Prime Video, in AT gegen moderates Entgelt bei diversen Streamern bzw. auf Disc bei Koch Media.)

(Der Text erschien ursprünglich in epd Film.)

The Nightingale
Australien/Kanada/USA 2018, Regie Jennifer Kent
Mit Aisling Franciosi, Baykali Ganambarr, Sam Claflin, Damon Herriman, Michael Sheasby
Laufzeit 136 Minuten