Naked Lunch (1991)

Kultbuch-Kultverfilmung – als Mediabook oder im Stream

Cronenberg, Weller, Naked Lunch
Naked Lunch, 1991, David Cronenberg

Es ist eine abgestandene Geschichte, alles in allem, wie direkt aus Klaus Theweleits „Buch der Könige“ entnommen: Ein Schriftsteller und Junkie macht auf Drogen mit seiner Frau, einer Schusswaffe und einem Apfel rum und erschießt sie, die Frau, beim Wilhelm-Tell-Spiel. Dann geht es für den Orpheus mit der Spritze im Arm ganz weit runter in die Unterwelt, ins Drogendelir, die „Interzone“ von Tanger, 1953, das Junkie-Paradies. Auf dem Weg zurück wieder an die Oberfläche bringt er einen Roman mit, „Naked Lunch“, und wird weltberühmt als ungekrönter dunkler König der Beat- und Drogenliteratur.

„Over her dead body“ hat Elisabeth Bronfen ihre Kulturgeschichte der Bilder von Frauenleichen genannt: Keine männlichen Großkünstlergenies ohne metaphorisch oder tatsächlich getötete Frauen. Was nicht für den Femizid, sondern gegen den Großkünstlergeniezirkus spricht.

David Cronenberg hat die Tötung der Ehefrau, die im Buch meine ich und im Film auf jeden Fall auch als Weg aus der Zwangshetero- in die Homosexualität erzählt wird, ein weiteres Mal zu Kunst gemacht. Und Burroughs’ Roman 1991, als, so das Lexikon des Internationalen Films ganz richtig, „metaphorisch angelegte, schwer zu entschlüsselnde Verfilmung des autobiografisch gefärbten Kultbuchs“ rekonstruiert.

Die Bilder überdrehen umgehend, Naked Lunch ist einer der wenigen Filme, bei denen ich beim ersten Mal Sehen (mit 14 oder so) in Momenten das Gefühl hatte, ich würde halluzinieren (Cronenbergs Videodrome ist ein weiterer). Eine Schreibmaschine vermischt sich mit einem Käfer, dem halluzinogenes Pulver auf den Anus gestreut wird; was Bill sich reinballert, wird direkt aus den Körpern von großen Echsenwesen gezapft, es ist alles eklig und eklig anziehend halt auch.

Dazu hat Ornette Coleman eine Jazzmusik zusammenimprovisiert, die so befreit klingt, wie der Schriftsteller es gerne wäre. Dem sitzt dazu aber eben halt auch die düsterliche Orchestermusik von Howard Shore mitsamt der eigenen Schuld im Nacken.

In der Musik wie im gesamten Film fließen der Horror eines unkontrollierten Rausches und seine Schönheit zusammen. „Beauty is“, sagt Ornette Coleman, „a rare thing“, und die Schönheit, die hier schlicht die Intensität ist, die Burroughs‘ Sprachmensch sucht, gibt es nicht ohne Opfer. Eine der schönsten Eigenschaften dieses Films ist, wie historisch er inzwischen wirkt. Vielleicht kommen derartige künstlerische Produktionsverfahren jetzt wirklich mal an ihr Ende.

Erschienen mit umfangreichen Extras als Mediabook bei Turbine Medien, flat im ARTHAUS+ Channel bei Amazon und gegen moderates Entgelt auf einigen anderen Plattformen

 

Naked Lunch
Großbritannien/Kanada 1991, Regie David Cronenberg
Mit Peter Weller, Judy Davis, Ian Holm, Julian Sands
Laufzeit 115 Minuten