„Lieber Thomas“: Sie wünschen, wir spielen. Auf Anregung von Alexander Horwath (nämlich in der Oscar-Podcast-Episode des filmfilter) empfehlen wir diesen Film von Andreas Kleinert, in dem Albrecht Schuch den heimatlosen Autor Thomas Brasch spielt. Selten sah Schriftstellerei sinnlicher aus.
Die Familie Brasch, in die Thomas am 19. Februar 1945 hineingeboren wurde, wurde Teil der kulturellen Elite der DDR. Vater Horst bekleidete das Amt des stellvertretenden Ministers für Kultur, Mutter Gerda war als Journalistin tätig, die Geschwister Marion, Klaus und Peter ergriffen künstlerische Berufe.(*) Und Thomas reüssierte als Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor, Regisseur und Lyriker, bis ihn sein exzessiver Lebenswandel und das Unglück seiner Entwurzelung am 3. November 2001 in ein frühes Grab brachten.
Andreas Kleinerts vielfach preisgekröntes Biopic Lieber Thomas zeichnet den Weg des Unsteten nach, der das Schicksal so vieler Künstler:innen teilte, die an den Zeitläuften, die sie in und mit ihrer Kunst kritisch reflektieren, schließlich zugrunde gehen. Ursächlich dafür sind nun nicht nur die Kritikresistenz totalitärer Systeme respektive die von diesen zum Einsatz gebrachten Sanktionen gegen das Kreativsubjekt. Ursächlich im vorliegenden Fall ist Braschs Heimatlosigkeit in zwei Heimatländern.
Mehr oder minder unfreiwillig nämlich siedelte Brasch 1976 von der DDR in die BRD über und verlor damit zugleich den Adressaten seiner Kunst; das Land, in dem er leben wollte, verweigerte ihm den Dialog, während das Land, in dem er nun lebte und in dem er vielfach Erfolge feierte, dem falschen System anhing. Ein Zwiespalt und Widerspruch, an dem im übrigen auch die Liedermacherin Bettina Wegner laboriert, die mit Brasch (noch in der DDR) eine Beziehung führte, aus der ein Sohn hervorging, und die 1983 zur Ausreise in die BRD gezwungen wurde.(**)
Schwarzweiß, satte Überlänge, graue DDR und biedere BRD, obendrein noch Kulturpolitik sowie Berliner In-Crowd – wer will das sehen? Alle und noch ein paar mehr. Und zwar nicht zuletzt wegen Albrecht Schuch in der Titelrolle. Schuch, bekanntermaßen ein im deutschsprachigen Raum ziemlich singulär dastehendes Schauspiel-Kraftwerk, tut sich keinen Zwang an, dreht die Rohre auf und schaltet die Reserven zu. Selten sah Schriftstellerei sinnlicher aus, selten wirkte ästhetische Berufung zwingender, seltener noch begriff man besser, welche Verzweiflung sie verursachen und welches Glück ihr zugleich innewohnen konnte.
(*) Vertiefend zum Thema empfohlen sei der Dokumentarfilm Familie Brasch (Annekatrin Hendel, 2018), im Stream z.B. auf AppleTV gegen geringes Entgelt oder auf anderen Plattformen.
(**) Der hervorragende Dokumentarfilm Bettina (Lutz Pehnert, 2022) über den Werdegang der bedeutenden Liedermacherin ist im Salzgeber Club gegen geringes Entgelt zu streamen bzw. hier.
Lieber Thomas
DE 2021, Regie Andres Kleinert Drehbuch Thomas Wendrich
Mit Albrecht Schuch, Jella Haase, Ioana Iacob
Laufzeit 150 Minuten