Last and First Men (2020)

Das atmosphärisch-sphärische Vermächtnis von Jóhann Jóhannsson – auf Mubi

Johannsson, Last and First Men
Last and First Men, 2020, Jóhann Jóhannsson

Die Scores für Denis Villeneuves Filme Prisoners (2013), Sicario (2015) und Arrival (2016) waren es, die den isländischen Komponisten Jóhann Gunnar Jóhannsson einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machten. Treibend-wabernde, filigran gearbeitete, subkutan wirkende Klangteppiche mit Ecken und Kanten, schimmernd zwischen bedrohlich und erhaben – und meilenweit entfernt von den manipulativen Attacken, die von einem durchschnittlichen Score Hollywood’scher Prägung gemeinhin gen Zuschauerempfinden geführt werden. Vielmehr legte Jóhannsson an das filmische Geschehen eine abstrakte musikalische Perspektive an, die den Interpretationsraum der Zuschauer:innen intellektuell wie emotional erweiterte anstatt ihn zuzuschmieren; anstelle von Instant-Interpretationen bot sie der Vorstellungskraft ungeahnte Möglichkeiten des (Mit-)Denkens und (Mit-)Fühlens.

Jóhannsson, der auch in seiner musikalischen Praxis jenseits der Filmvertonung gerne visuelle Elemente einsetzte, drehte mehrere eigene Kurzfilme auf Super 8 und 16 mm. Seit 2012 arbeitete er zudem an seinem Langfilmdebüt, dessen Fertigstellung er nicht mehr erleben sollte; er starb 2018 im Alter von nur 48 Jahren in Berlin. Last and First Men, basierend auf dem titelgebenden, 1930 erschienenen Zukunftsroman des englischen Schriftstellers und Philosophen Olaf Stapledon ist sein Vermächtnis: eine Elegie für Kamera, Orchester und Stimme, die den Essay- mit dem Science-Fiction-Film verbindet; ein atmosphärisch-sphärisches Gesamtkunstwerk, das Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod gleichermaßen umgreift.

Die Kompositionsmittel setzen sich zusammen aus einem von Tilda Swinton mit hypnotischer Wirkung vorgetragenen Voiceover, einer von Jóhannsson gemeinsam mit Yair Elazar Glotman komponierten, tief melancholischen Musik sowie Aufnahmen monumentaler Denkmäler – unter dem Namen Spomenik bekannt –, die auf dem Gebiet des vormaligen Jugoslawien massenhaft von vergangenem sozialistischem Glanz und Gloria zeugen. Im vorliegenden Kontext aber legen die von Sturla Brandth Grøvlens Kamera in schwebenden Fahrten eingefangenen brutalistischen Konstrukte von Untergang und Hybris gleich der gesamten Menschheit Zeugnis ab. Swinton nämlich leiht ihre Ohrwurmstimme einem der Letzten der Humanoiden, die, zwei Milliarden Jahre in der Zukunft, nunmehr endgültig ihrer Auslöschung entgegen sehen. Und selten sah und hörte sich das Weltende rauschhafter.

 

Last and First Men
Island 2020, Regie Jóhann Jóhannsson, basierend auf dem Roman von Olaf Stapledon
Erzählerin Tilda Swinton
Laufzeit 72 Minuten