I wie Ikarus (1979)

Herrliche Paranoia mit Verneuil, Decoin, Montand und Morricone – auf Disc oder im Stream

i wie ikarus, 1979
I... comme Icare, 1979, Henri Verneuil

Es ist dies mit Sicherheit einer der schönsten Paranoia-Filme in der an Paranoia-Filmen nicht armen Geschichte des Politthrillers. Der Präsident eines Landes, das Regisseur Henri Verneuil und sein Autor Didier Decoin als Mischung aus Frankreich und den USA konzipiert haben, wird erschossen. Yves Montand ermittelt unbeirrt und in aller Seelenruhe weiter, obwohl der Ermittlungsausschuss, dem er angehört hat, zu dem Ergebnis gekommen ist, dass hier ein Einzeltäter als Mörder am Werk war. Der soll sich gleich nach seiner Tat selbst erschossen haben, man kann ihn also praktischerweise nicht mehr fragen. Außerdem sterben Zeuginnen und Zeugen des Präsidentenattentats wie aufgereiht. I wie Ikarus weiht sein Publikum gleich ein, dass nichts so ist wie es scheint. Es geht dann nur noch darum, das Ausmaß der Schweinerei zu bestimmen, und vor diesem Hintergrund baut der Film eine Intensität auf, die immer noch wirkt. Die Szene zum Beispiel, in der der letzte überlebende Zeuge darauf wartet, von den Ermittlern in Sicherheit gebracht zu werden, ist mit einfachsten Mitteln gefilmtes, großartiges Spannungskino.

Überhaupt ist die Ruhe, die nahezu alle Szenen bestimmt, wundervoll. I wie Ikarus bezieht seine Energie nicht aus Verfolgungsjagden und Polizeigedöns, sondern aus der Konzentriertheit der Ermittlerfiguren, deren Arbeit man beobachtet und mitvollzieht. Zuschauerin und Zuschauer werden primär als denkende und nicht als Affektwesen adressiert.

Und natürlich als Verschwörungstheoretiker. I wie Ikarus sichert sich gleich zu Beginn ab, mit einem Zitat aus Boris Vians Roman „Der Schaum der Tage“: „Diese Geschichte ist vollkommen wahr, weil ich sie von Anfang bis Ende erfunden habe.“ Das ist gut, denn so macht dieser perfekt konstruierte Film nicht den Fehler des Verschwörungstheoretikers Oliver Stone, der seine Phantasien über den Mord an John F. Kennedy in JFK als filmischen Tatsachenbericht verstanden wissen wollte. Der Spaß an der paranoiden Weltkonstruktion bleibt auf die Konstruktion einer filmischen Welt beschränkt, und so soll es ja auch sein. Vor allem wenn Ennio Morricone die Musik über diese Welt legt; es ist sein – neben dem Score zu Angst über der Stadt – bester Soundtrack für einen Verneuil-Film.

(bei Prime Video oder Apple TV im Stream bzw. bei Pidax auf Disc)

 

I wie Ikarus / I… comme Icare
Frankreich 1979, Regie Henri Verneuil
Mit Yves Montand, Jacques Sereys, Jean Négroni
Laufzeit 128 Minuten