Wirklich sanft

Streaming-Tipps KW 28

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Cha Cha Real Smooth, 2022, Cooper Raiff

Die Doku-Miniserie „How to Change Your Mind“ (Netflix) gibt einen Denkanstoß zu psychedelischen Drogen als Heilmittel. Und statt der hirnlosen Jane-Austen-Adaption „Persuasion“ verweisen wir auf einen alternativen Film mit Dakota Johnson.

Es ist schön, wenn ein Filmtitel in die richtige Richtung weist. Cha Cha Real Smooth (Apple TV+) ist so ein Fall, es ist ein wirklich zärtlicher Film, und der Tanz in seinem Titel deutet das Hin und Her, das Vor und Zurück in den Schritten seiner Hauptfiguren an. Diese könnten auf den ersten Blick unterschiedlicher kaum sein; dargestellt werden sie von Dakota Johnson (die ja in jeder Rolle, in der sie sich nicht massentauglich in einem Sex Room bearbeiten lässt, grundsätzlich einmal interessant ist) und von Cooper Raiff, der mit Cha Cha Real Smooth zugleich seinen zweiten Langspielfilm als Regisseur vorlegt (nach Shithouse, mit blutjungen 25 Jahren, muss man dazusagen).

Es ist auch schön, wenn ein Film polarisiert. Die New York Times nannte Cha Cha Real Smooth einen „Sundance indie“. Das ist ein sprechendes, hier allerdings abwertend gemeintes Label, denn NYT-Ko-Chefkritikerin Manohla Dargis „didn’t believe a single second“ in diesem Film, stieß sich am breiten Grinsen seines Helden und verriss ihn entsprechend. Nun, auch eine Große ihres Fachs haut einmal daneben. Der Held mag aufs Erste ein wenig farblos wirken, ja, und niemand hier interessiert sich für die Welt außerhalb der eigenen Blase, aber die Situation ist auch nicht wirklich dazu angetan: Domino (Johnson), die eine autistische Teenie-Tochter (Vanessa Burghardt) hat, erwartet ein Kind und stellt sich gerade auf ein stabiles Leben mit dem Vater dieses Kindes ein. Andrew (Raiff) wiederum ist mit 22 Jahren in einer Phase der Selbstfindung, seinem neuen Nebenjob als Unterhalter bei jüdischen Feierlichkeiten ist das Ablaufdatum schon eingeschrieben, ebenso wie seinem Leben mit Mutter (Leslie Mann), Bruder und Stiefvater in einem Vorort New Jerseys. Aber er hat als Bar-Mizwa- bzw. Bat-Mizwa-Zeremonienmeister ein paar witzige Einfälle und sympathisch peinliche Auftritte und vor allem versteht er sich gut mit Dominos Tochter und wird als ihr Aufpasser engagiert – da ist es zum titelgebenden Tanz zwischen Andrew und Domino nicht mehr weit. Ganz im Gegensatz zu Dargis‘ Wahrnehmung ist das nicht nur gut nachvollziehbar: Es sorgt für ein im „Feel-Good“-Genre selten glaubhaftes Grundgefühl der Wärme und Empathie und es mündet nicht in eine klischeehafte Romcom, wie wir sie schon viel zu oft gesehen haben.

So beurteilt eine weitere erfahrene US-Kritikerin den Film denn auch ganz anders, nämlich positiv, und obwohl sie Andrew zu Beginn – ähnlich Dargis – als „floppy half-grown puppy of a guy“ charakterisiert, erkennt sie die dezidiert anti-toxische Darstellung von Männlichkeit in Raiffs Film an und sieht darin „a larger marker of how much movie masculinity has evolved: a real-smooth manifesto for the anti-toxic man“. Genau, und dieser junge Mann durchläuft eine veritable Entwicklung im Verlauf des Films (wie übrigens auch die nicht mehr ganz junge Frau), auch wenn die geschätzte Kollegin Dargis das nicht gesehen hat. Zwei Menschen, so unterschiedliche Lebenserfahrung sie auch haben mögen, und so paradox es im Fall einer Mutter wie Domino scheinen mag, unterstützen hier einander letztlich beim Erwachsenwerden – und dabei sieht man ihnen sehr gern zu. Ende der Verteidigungsrede. (Hier übrigens eine der mehrheitlich vernichtenden Kritiken zum anderen aktuellen Film mit Dakota Johnson auf Netflix.)

Halluzinogene sind des Teufels, wusste Richard Nixon, und ließ LSD verbieten. Ende der 1960er Jahre waren damit nicht nur 15 Jahre Laissez-faire-Bewusstseinserweiterung unter Musikern, Malerinnen, Hippies und Schriftstellern nach der Devise How to Change Your Mind vorbei, sondern auch zwei Jahrzehnte Forschung hinsichtlich der therapeutischen Wirkungen von Psychedelika. Psilocybinhaltige Pilze hießen (hier zu Lande jedenfalls) wieder „narrische Schwammerl“, LSD wurde als suizidale Gemeingefahr für die Menschheit eingestuft. Natürlich kursierten die verbotenen Gehirn-Stimulanzien weiterhin „underground“.

Wer selbst einmal – als gesunder Mensch – die vom Schweizer Chemiker Albert Hofmann entdeckte Substanz eingenommen hat, weiß wahrscheinlich um die Gefahren, aber auch um die Klarheit, mit der mittels LSD die vom alltäglichen Bewusstsein verschleierte persönliche Realität (und damit auch erlittene Traumata) wahrgenommen werden kann. Später wurde Ecstasy (MDMA) als Partydroge bekannt – und verboten. Doch seit einigen Jahren nahmen Forscher:innen in aller Welt, obwohl in ihrem Studium nicht über die reichhaltige Forschungsgeschichte zum Thema informiert, den Faden wieder auf: Können Psychedelika schwere psychische Krankheiten, die man mit Antidepressiva & Co bloß symptomatisch in den Griff kriegen kann, von Grund auf heilen?

Der US-Journalist Michael Pollan nahm sich in einem 2019 erschienenen Buch des Themas an, und das erfrischend ideologiefrei: „How to Change Your Mind“ bzw. in der deutschen Übersetzung im Antje Kunstmann Verlag „Verändere dein Bewusstsein: Was uns die neue Psychedelik-Forschung über Sucht, Depression, Todesfurcht und Transzendenz lehrt“. Ohne Dämonisierung, aber auch ohne Verherrlichung recherchierte Pollan die Möglichkeiten und Grenzen, das nötige Setting und erste Erfolge des wiederentdeckten therapeutischen Zugangs.

Mit einer Droge Angstneurosen und Süchte bekämpfen? Es klingt zunächst paradox, aber wer sich den auf seinem Buch basierenden, von Pollan selbst erzählten Netflix-Vierteiler How to Change Your Mind / Verändere dein Bewusstsein ansieht, wird den Gedanken nicht mehr als abwegig zurückweisen. Faszinierend daran: Eine einzige Behandlung kann wirksamer sein als tausend Tabletten. Wir vom filmfilter empfehlen die Beschäftigung mit diesem Thema als zukunftsweisend. Wer will schon in einer Welt zunehmender Knappheit und zunehmender Belastungsstörungen ausschließlich von riesigen Pharmakonzernen und deren profitablen Pillen abhängig sein?