Silvesterkracher

Streaming-Tipps KW 52

Silent Night, 2021, Camille Griffin

Eine John-Carpenter-Trilogie, eine achtstündige Beatles-Doku und ein schrecklich unweihnachtlicher Weihnachtsfilm.

Mit den Feiertagen wächst der Wunsch, die stereotype Familienszene zu kreieren: Kekse, Kerzen, kaltblütige Verwandte und natürlich der obligatorische Weihnachtsfilm. Wohlfühlfilme wie It’s a Wonderful Life (bei Apple TV+) und Miracle on 34th Street (Disney+) stehen exemplarisch für das Genre und haben ihren festen Platz in der amerikanischen Kultur. Hollywood und seit Jahren auch Streamer wie Netflix produzieren mehr Weihnachtsfilme als ein Mensch jemals sehen kann. Und gefühlt neunzig Prozent davon sind unerträglich: von Love Hard bis A California Christmas.

Hier also ein alternativer Vorschlag: Sehen Sie sich einen Silvesterkracher an, der nicht an Neujahr spielt. Oder sehen Sie sich einen Weihnachtsfilm ohne Christbaum an. Sehen Sie sich zum Beispiel eine großartige Trilogie von John Carpenter (auf MUBI) an. Über ihn sagt Oscar-Preisträger Guillermo del Toro: „Wir müssen uns alle einig sein, dass Carpenter ein brillanter Regisseur ist. Ein seltener Glücksfall. Ein wahrer Autor. Ach, und ein anbetungswürdiger Komponist.“

Obwohl er mittlerweile überwiegend mit dem Horrorgenre in Verbindung gebracht wird, wurde John Carpenters erster Studiofilm zum Action-Klassiker. Assault on Precinct 13 (1976), ein später und radikaler New-Hollywood-Ausläufer, lässt eine Horde wahnsinniger, terroristischer Ausgestoßener auf die Menschen in einem Polizeirevier los. Das Ergebnis ist eine Meisterklasse in Sachen Action-Choreografie, die von der Bewunderung Carpenters für Howard Hawks (insbesondere Rio Bravo) inspiriert war. Von Anfang bis Ende pure Exploitation-Freude: Assault ist einer der bemerkenswertesten Thriller aller Zeiten – written, directed, edited and scored by John Carpenter.

Assault on Precinct 13, 1976, John Carpenter

Ein weiterer Film, in dem Carpenter ein Belagerungsszenario schuf, in dem er eine Reihe unterschiedlicher Figuren auf kleinem Raum zusammenwürfelte, ist der immer noch unterschätzte Prince of Darkness (Die Fürsten der Dunkelheit, 1987), ein liebenswert seltsamer, durchweg gruseliger Film. Carpenter rebellierte gegen die problematischen Produktionsbedingungen seiner kommerziell schwächelnden Studiofilme und tauchte wieder in die Art des unabhängigen Filmemachens ein, für die er bekannt geworden war: Beschränkt auf einen Ort erzeugte er eine bedrückende Atmosphäre und rekrutierte Donald Pleasance aus Halloween als Priester, der in einer alten verlassenen Kirche einen mysteriösen Bottich mit grüner, blubbernder Flüssigkeit entdeckt, die das pure Böse verkörpert.

They Live (Sie leben, 1988) wurde bei seinem Erscheinen von Kritikern zerrissen, gilt aber heute als subversives Meisterwerk – aus guten Gründen. Kein Film fängt Carpenters Mischung aus Kultästhetik, klassischem Hollywood-Einfluss und schierer Wut gegen den kapitalistischen American Way der Reagan-Ära besser ein. Es ist der Film mit den ikonischen Sonnenbrillen, einer Alien-Invasion und einer siebeneinhalbminütigen Straßenrauferei, komplett mit Body Slams und natürlich dem kanadischen Wrestler Roddy Piper in der Hauptrolle. Alles eingebaut in eine bitterböse Konsum- und Medienkritik.

(Prince of Darkness und They Live finden sich übrigens – neben fünf weiteren Klassikern – auch in der John Carpenter Collector’s Edition von Studiocanal, dazu gibt‘s Audiokommentare des Meisters und garantiert kein Knacksen der Internetverbindung.)

They Live, 1988, John Carpenter

Wer den Beatles fast acht Stunden lang dabei zu sehen will, wie sie Tee trinken, Sandwiches essen, streiten, sich wieder versöhnen (dann wieder streiten), Meisterwerke komponieren und herumblödeln, sollte sich den neuen Dokumentarfilm Get Back (bei Disney+) ansehen. Wir hätten ja gedacht, schon alles über die Beatles zu wissen, doch dann kam Peter Jackson mit seinem Dreiteiler, der das Ende der Band neu interpretiert – nur Happy End gibt es immer noch keines. Jackson rang mit 60 Stunden Filmmaterial und 150 Stunden Audio und nutzte State-of-the-Art-Technik, um sowohl Ton als auch Video zu verbessern, sodass die Zuschauer:innen das Gefühl haben, mit John, Paul, George und Ringo abzuhängen, während die das 1970er Album „Let It Be“ komponieren. Es stellt sich heraus, dass die Beatles mehr Spaß hatten als wir geglaubt haben, oder dass Yoko Ono gar nicht so ein Dorn im Auge und George gar nicht so eine Diva war wie die Geschichte uns glauben ließ.

Get Back, 2021, Peter Jackson

Und wenn es dann doch ein Feiertagsfilm sein soll, dann zumindest ein ungewöhnlicher: Der dunkelste aktuelle Weihnachtsfilm, passend zu den turbulenten Tagen, ist Silent Night (gegen moderates Entgelt bei diversen Streamern). Camille Griffins Regiedebüt stellt in Sachen Handlung und Botschaft so ziemlich das Gegenteil von festlicher Stimmung dar. Wir erfahren bald, dass die Weihnachtsfeier für die Gäste von Keira Knightley in Silent Night die letzte sein wird. Giftgas, verursacht durch menschliche Umweltverschmutzung, fegt unaufhaltsam durch das Land, also hat die Regierung Selbstmordpillen vorgeschrieben, um allen einen schmerzfreien Freitod zu ermöglichen, bevor das Gas über sie kommt – was für ein charmantes Weihnachtsgeschenk! Ein Schelm natürlich, wer hier Parallelen zur aktuellen Situation des Planeten erkennt.

Prosit Neujahr, und lassen Sie es krachen!