Schandfleck und Wunde

Streaming-Tipp: „Esterno notte / Und draußen die Nacht“ – auf arte

Bellocchio, Und draußen die Nacht
Esterno notte, 2022, Marco Bellocchio © Anna Camerlingo

Aldo Moro: Die packende Miniserie „Und draußen die Nacht“ von Marco Bellocchio zeigt die Entführung und Ermordung des Christdemokraten aus vielen Perspektiven. Zu sehen noch bis 12. Juli auf arte.tv

Aldo Moro wurde am 23. September 1916 in Maglie, Apulien geboren. Er war einer der führenden Politiker der Democrazia Cristiana und von 1963 bis 1968 sowie 1974 bis 1976 Ministerpräsident Italiens. Bei seinen Parteigenossinnen sowie den militanten Revolutionären machte er sich vor allem dadurch unbeliebt, dass er sich um die Zusammenarbeit zwischen dem rechten und dem linken politischen Lager bemühte, also mit der – horribile dictu! – Partito Comunista Italiano zu kollaborieren geneigt war.

Am 16. März 1978 wurde Aldo Moro auf dem Weg ins Parlament von Angehörigen der Brigate Rosse entführt, seine fünf Leibwächter wurden bei dem Überfall ermordet. Doch nicht nur die skrupellose Methode der Gefangennahme erinnerte an die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer im Deutschen Herbst 1977 durch die Rote Armee Fraktion. Auch der weitere Verlauf der Aktion wies Ähnlichkeiten auf, insofern die italienische Regierung unter Ministerpräsident Giulio Andreotti (siehe hierzu Il Divo von Paolo Sorrentino, 2008) wie im Jahr zuvor die deutsche unter Bundeskanzler Helmut Schmidt die harte Linie des Nicht-Verhandelns verfolgte: „Der Staat darf sich nicht erpressen lassen.“ Der schreckliche Stillstand zog sich über Wochen hin – 43 Tage im Fall Schleyer, 55 Tage im Fall Moro – und endete jeweils mit der „Verurteilung und Hinrichtung“ d. i. Erschießung der Geiseln; die Leichen wurden in den Kofferräumen abgestellter Wagen aufgefunden. Das Auto mit dem toten Aldo Moro am 9. Mai 1978 in Rom in einer Straße auf halbem Wege zwischen den Hauptquartieren der Parteien Democrazia Cristiana und Partito Comunista Italiano. Freilich wollte keine der beiden die Verantwortung übernehmen.

Bellocchio, Esterno notte

Mit der Entführung Aldo Moros – Trauma der italienischen Nachkriegsgeschichte, Schandfleck und Wunde, sowie Kristallisationspunkt zahlreicher Verschwörungstheorien – hat Marco Bellocchio sich bereits zweimal befasst. Bellocchio, 1939 in Piacenza, Emilia-Romagna geboren und neben Paolo Sorrentino einer der wachsten und kritischsten Filmemacher des Gegenwartskinos Italiens, legte 1995 den Dokumentarfilm Aldo Moro: Sogni infranti und 2003 den Spielfilm Buongiorno, notte vor. Im vergangenen Jahr ließ Bellocchio schließlich mit Esterno notte / Und draußen die Nacht eine vom TV-Sender RAI produzierte Miniserie folgen.

Wie Buongiorno, notte mit einem befreit durch die Straßen Roms flanierenden Moro endet, so beginnt Und draußen die Nacht mit einem geretteten Moro im Krankenhausbett. Zwei fette Lügen, jener vergleichbar, mit der Christopher Roth 2002 seinen Popkultur-bewussten Beitrag zum Mythos der RAF, Baader, enden lässt: Heldentod des Linksterroristen im Kugelhagel der Staatsterroristen, die Geburt der Legende vorwegnehmend. Drei Mal historischer Revisionismus, wenn man so will, vor allem aber Ausdruck des sehnlichsten Wunsches, das herrschende politische System möge seinerzeit anders gehandelt haben. Was wäre gewesen wenn? Vor allem aber: Was wäre uns nicht alles erspart geblieben!?

Moro lässt Bellocchio keine Ruhe. Und draußen die Nacht nähert sich der Entführung aus sechs unterschiedlichen Richtungen; in jeder der Episoden werden die Ereignisse aus einer anderen Perspektive geschildert. Darunter jene von Innenminister Francesco Cossiga, dem eigentlichen Hassobjekt der Roten Brigaden; von Papst Paul VI, dem engen Freund Moros; von Gattin Eleonora, die zunehmend Geduld und Kraft verliert; und natürlich auch jene der an der Aktion zweifelnden Brigadistin, die bereits die Erzählperspektive für Buongiorno, notte geliefert hatte. Mit diesem multiperspektivischen Ansatz einher geht sowohl das recht gemächliche Tempo der Narration als auch die Schwerpunkt-Setzung auf Innenleben und Beziehungen der Figuren. Hierin unterscheidet sich Bellocchios Interpretation der historischen Fakten fundamental von jener (beispielsweise) Uli Edels, der den Aufstand der RAF in Der Baader Meinhof Komplex (2008) in einen Actionfilm kleidete.

Während bei Edel jedes Argument im Kugelhagel zerfetzt wird und so gut wie keine reflektierte Auseinandersetzung mit dem politischen Subtext des bewaffneten Kampfes stattfindet, spitzt Bellocchio jede einzelne Episode auf einen Dialog oder Monolog zu, in dem die Figuren sich jeweils als historische Subjekte erkennen und über ihre Funktion als kleine Rädchen im großen Räderwerk der Geschichte klar werden. Dass das Entsetzen, das sich ob dieser Erkenntnis vielfach einstellt, mit etwas sanftem Galgenhumor betrachtet wird, zeichnet Bellocchios filmemacherische Größe aus. Denn es liegt ein kleiner Trost darin, dem Schrecken freundlich begegnen zu können – bis hinter ihm der Tod sichtbar wird und einem das Lachen vergeht.

 

Esterno notte
Italien 2022, Regie Marco Bellocchio
Mit Fabrizio Gifuni, Margherita Buy, Fausto Russo Alesi
Gesamtlänge 330 Minuten in 6 Episoden