„Minx“: Das Matriarchat erwacht zwischen Feminismus und Fleisch. Die Retro-Sommerserie schlechthin, zu sehen auf Canal+.
Wollen Frauen nackte Männer sehen? Das ist eine Frage, die man sich in den 1970er Jahren tatsächlich noch gestellt hat – bis Burt Reynolds sich in der Cosmopolitan auf einem Bärenfell räkelte – nackt und zum Ausklappen. Die frühen Siebzigerjahre waren ein goldenes Zeitalter, sowohl für feministische Zeitschriften als auch für Pornohefte, die sich an Frauen richteten. Die Showrunnerin Ellen Rapoport hat beides adrett zu einer sehr lustigen und sehr freizügigen HBO-Comedy-Serie vermischt, die es auf Canal+ zu sehen gibt. Der Titel: Minx, was frei ins Deutsche übersetzt „Luder“ bedeutet. Die Serie ist clever, aber zugleich auch schmuddelig. Eine Art unheilige Alchemie, die auf wundersame Weise funktioniert.
Die britische Schauspielerin Ophelia Lovibond spielt die idealistische junge Autorin Joyce, und sie spielt großartig. Seit ihrer Kindheit hat Joyce davon geträumt, ein Magazin herauszubringen, das sich ihren feministischen Idealen widmet. „The Matriarchy Awakens“ soll es heißen und seriös Themen wie Verhütung, Gender Pay Gap oder sexuellen Missbrauch in der Ehe behandeln. Das Problem: Niemand will ihr Heft auf den Markt bringen. Einzig und allein der exzentrische Pornoverleger Doug, herrlich schleimig gespielt von Jake Johnson aus New Girl, interessiert sich dafür. „Du musst die Medizin verstecken“, sagt er zu ihr und vergleicht feministische Essays mit Medikamenten und Frauen mit Haustieren. „Wenn man einem Hund eine Pille gibt, taucht man sie zuerst in Erdnussbutter. Meine Frage lautet also: Was ist unsere Erdnussbutter?“ Nun, die Erdnussbutter sind in diesem Fall männliche Geschlechtsteile – und zwar sehr viele von ihnen (selbst für HBO-Verhältnisse).
Der Kalifornier Doug ist mit dem Feminismus von Joyce einverstanden („Chicks are changing!“ wie er es ausdrückt), sieht das Magazin aber auch als Gelegenheit, in eine Nische vorzudringen, die bisher nur Burt Reynolds haariger Oberschenkel erschlossen hat. Er will mit einem Erotikmagazin für Frauen an die Kioske, und Joyce soll es editieren. „Es wird geschmackvoll sein, kein Shvantz im Gesicht“, versichert er ihr. Oberflächlich betrachtet ist die adrett gekleidete Feministin mit der zugeknöpften Schluppenbluse entsetzt, aber sie weiß, dass Doug Recht hat: Es gibt jede Menge Schmuddelheftchen voller nackter Frauen, aber keine mit nackten Männern. Und so kommt sie auf die Idee, monatlich einen beeindruckenden Phallus in einer ausklappbaren Mittelfalte zur Schau zu stellen und ihn dem weiblichen Blick auszusetzen. Was folgt, ist eine sehr lange Montage, die sich der Ausrüstung unter der männlichen Gürtellinie in all ihren verschiedenen Formen, Größen und Längen widmet – und das auf die größtmögliche feierliche und ungenierte Art und Weise.
In Minx gibt es wirklich einen Überfluss an männlicher Nacktheit – als hätte die Schöpferin Ellen Rapoport versucht, die zehn halbstündigen Folgen zu einem Korrektiv für jahrzehntelange Kabel- und Streaming-Dramen zu machen, in denen nackte Männer ein Tabu waren. Und Rapoport ist wie Doug geschickt darin, die Medizin zu verstecken. Wie das titelgebende Magazin nutzt die Comedy-Serie geschickt den Reiz von Sex und Humor, um ihr Publikum dazu einzuladen, sich mit ernsteren Themen auseinanderzusetzen: Entscheidungsfreiheit, Objektivierung, Scham, geschlechtsspezifische Heuchelei und der viel diskutierte female gaze zum Beispiel.
Minx führt die verklemmte Joyce (sie denkt, dass alle Penisse gleich aussehen, weil sie in ihrem Leben nur „zweieinhalb“ gesehen hat) in eine sexuell freizügige Welt; das sorgt für jede Menge transgressive Gags über die Grenzen ihrer eigenen Vorstellung von Feminismus. Ihre männlichen Models versucht sie etwa in Stimmung zu bringen, indem sie ihnen Anaïs Nin vorliest. Als Joyce anfängt, mit Doug zu arbeiten, bekommt sie Albträume, von Star-Feministin Gloria Steinem mit Tomaten beworfen zu werden. Neben der makellosen Besetzung und dem flotten Schreibstil bietet Minx eine wahre Siebziger-Jahre-Augenweide – passend zu einer Serie, die in einer Branche spielt, die auf den Freuden des Schauens basiert.