Keine Schönheit ohne Gefahr

Spielbergs persönlichster Film: „The Fabelmans“ – jetzt auf Sky

Spielberg, LaBelle, The Fabelmans
The Fabelmans, 2022, Steven Spielberg

„The Fabelmans“: Steven Spielbergs bislang schönster Film denkt Familie, Adoleszenz und Kino auf hochpersönliche Weise zusammen. Jetzt auf Sky Cinema Premieren bzw. auf Abruf über Sky Q und Sky X.

Steven Spielbergs erster offen autobiografischer Film wurde von der Filmkritik rauf und runter besprochen. Über The Fabelmans schreibt es sich aber auch schon fast wie von selbst. Spielbergs Familiengeschichte strukturiert untergründig, Georg Seeßlen hat es umfassend durchanalysiert, die Plots vieler seiner Filme und blitzt in Momenten auf der Leinwand auf: Trennungsbilder, Scheidungskinder, Ortlosigkeit, Sehnsucht und immer wieder Szenen, in denen Hände versuchen einander zu greifen und sich verpassen.

Den wohl besten deutschsprachigen Text zum Kinostart von The Fabelmans hat Rajko Burchardt geschrieben: „Im Kino gewesen. Das Licht gesehen“. Man kann dem nur wenig hinzufügen: Bezüge, die Spielberg zu seinem eigenen Werk herstellt (E.T., Krieg der Welten, Poltergeist) und weitere Meta-Ebenen, auf denen der Film surft (Dawson’s Creek, die Verbindung stellt sich her über Spielbergs Hauptdarstellerin Michelle Williams), und natürlich die Differenzen, die entstehen, wenn der Subtext (das Drama des begabten, ortlosen Kindes) zum Text wird (die Eltern lassen sich scheiden, der Sohn wird Filmemacher, und das eine hängt mit dem anderen zusammen). „Mitzi Fabelman, die heimliche Hauptfigur des Films, soll Spielbergs tatsächlicher Mutter Leah Adler bis ins Detail nachempfunden sein“, schreibt Burchardt. „Aus dem gelegentlich apotheotischen, zur Überhöhung neigenden Mutterbild seiner Familienfilme und ihren mal engelsgleich im Hintergrund agierenden, mal überfordert erscheinenden Frauenfiguren fällt Mitzi weitgehend heraus.“ Durch Eigensinn und Widersprüchlichkeit nämlich.

Spielberg, Fabelmans
Paul Dano, Michelle Williams, Seth Rogen

Alles also gesagt, einerseits. Oder fast alles. Denn andererseits könnte man über diesen kommerziell erwartbar gefloppten Film ein Buch schreiben, ein dickes. Was in den Rezensionen, die ich gelesen habe, weitgehend unerwähnt geblieben ist (von Georg Seeßlen natürlich abgesehen, der hat in Spielbergs Film ebenfalls „eine kleine Kinotheorie, so verständig wie bescheiden“ entdeckt): Steven Spielberg lässt das Implizite seines Werks in The Fabelmans (der erst produzierbar wurde, nachdem Spielbergs Eltern, 2017 und 2020, gestorben waren) explizit werden, klar. Aber er entwickelt darin auch, mit den Mitteln seines Kinos, so etwas wie eine implizite Kinotheorie.

Der Moment, in dem die große Erzählung und damit die Verstrebung von Leben und Leinwandbildern ihren Ursprung hat, ist überdeutlich und keinem Rezensenten entgangen. Spielbergs Alter Ego Sammy (Gabriel LaBelle) wird von seinen Eltern ins Kino mitgenommen, The Greatest Show on Earth. Cecil B. DeMille lässt einen Zug in ein Auto krachen, die Menschen auf der Leinwand fliegen durch die Luft und der junge Fabelman fliegt innerlich mit. Zurück im Suburb-Zuhause wünscht er sich eine Modelleisenbahn, seine Mutter Mitzi (Michelle Williams), die von der Kunst her denkt und nicht als Pädagogin, schenkt ihm noch eine Super-8-Kamera dazu. Die Kamera kommt in diesem Film von der Mutter, vielleicht, weil es halt einfach so gewesen ist, vielleicht ist das aber auch darüber hinaus wichtig. Vom Vater kommt in dieser Erzählung das Technische, das Ingenieurhafte, das später die Spektakelfilme Spielbergs bestimmen wird. Von der Mutter (und ihrer Familie, repräsentiert in The Fabelmans durch einen Auftritt ihres radikal eigensinnigen Bruders) der Blick auf die Welt als Blick, der gestützt und strukturiert wird durch die Mittel der Kunst.

Das Erste, was Kamera und Kino Sammy ermöglichen und schenken: Bewältigung der Überwältigung (Trauma ist ein zu starkes Wort). Im Nachbauen der schwer fassbaren ästhetischen Erfahrung (Zug trifft auf Auto) im Keller und in der Aufzeichnung dessen, was man da nachgebaut hat, kriegt man es, in welcher Weise und wie vorübergehend auch immer, in den Griff. Kino als Erfassung des Unfassbaren. Der erwachsene Steven Spielberg wird dann später für Schindlers Liste ein Vernichtungslager nachbauen lassen.

Mateo Zoryan als junger Sammy Fabelman

In der Adoleszenz entwickelt sich die Kamera für den eher introvertierten Sammy zu einem Instrument, um Freundschaften und überhaupt das Soziale für sich zu organisieren. Kino als Nerdfest: Bei dem schon recht professionellen Dreh eines Kriegsfilms gemeinsam mit den Pfadfinderfreunden und der anschließenden umjubelten Premiere wird deutlich, dass Kunstproduktion eben auch im Wesentlichen auf einer Anerkennungsökonomie basiert, vielleicht nicht als Motor, aber doch immerhin als Treibstoff. Der erwachsene Steven Spielberg hat für seine Filme insgesamt 35 Oscars und 140 Oscar-Nominierungen bekommen.

Und der Motor: Die Kamera bildet in The Fabelmans eine Möglichkeit, um das Verbotene so weit aufzudecken, dass man es genießen kann, und zugleich unsichtbar zu bleiben. Sammy ist Voyeur und Detektiv. Erotik und unfreiwillige Detektivarbeit überlagern sich in der Dokumentation eines Camping-Ausflugs, zu dem der Kollege (Seth Rogen) von Sammys Vater Burt (Paul Dano) mitkommt. Nachts filmt Sammy seine Mutter, die in einem zu durchscheinenden Kleid vor dem Lagerfeuer tanzt und schaut ödipal-fasziniert (vielleicht ist das auch nur die Projektion meines Blicks auf die tanzende Michelle Williams, aber was will man machen). Die Kamera als Möglichkeit, auch dann noch hinzuschauen, wo es jenseits des Systems Kino schon nicht mehr statthaft wäre; Sammys Schwestern jedenfalls wenden den Blick peinlich betreten ab. Die Erotik der Bilder basiert auf der nur partiellen Entkleidung des Nackten. Steven Spielberg hat in seinen Filmen – mit Ausnahme von den Kubrick-Projektionen in A.I. Artificial Intelligence vielleicht – nicht ein strukturell pornografisches Bild fabriziert.

Bei der Sichtung des Materials sieht Sammy, dass die Kamera auch das aufzeichnet, von dem man vielleicht lieber nichts wissen wollte. Der Kollege des Vaters berührt Mitzi abseits beim Spaziergang nicht so, wie man die Ehefrau eines Kollegen berühren würde, wenn man nur der Freund des Kollegen wäre. Mitzi wird Sammys Vater verlassen, nachdem das Unglück in der Vorstadtenge für sie nicht mehr auszuhalten ist (und Spielberg schafft es in The Fabelmans, dieses Auseinandergehen präzise zu beschreiben, ohne Verantwortung und Schuldgefühle ungleichgewichtig zu verteilen). Die Kamera und das Kino sind bei Spielberg nicht nur Instrumente, um das Geheimnisvolle und Magische zu zelebrieren, sondern auch Instrumente zur Aufdeckung von Geheimnissen.

The Fabelmans ist nicht nur ein Familienroman und auch nicht nur eine autobiografische Erzählung über das Werden eines Filmemachers. Es ist ein Film, der davon erzählt, wie beides zusammenhängt. Und in diesem Zuge ein sehr genaues Bild des Familiären malt, vom Glück und vom Schrecken und von der Trauer, die in Familien so drinstecken können; das gelebte und das ungelebte Leben. Er rekonstruiert aber außerdem, was Kino und Kamera in diesen Zusammenhängen bedeuten können, für ein Kind, einen Jugendlichen und einen Erwachsenen. Die Möglichkeit, sich und die Welt neu zu sortieren, über ein Medium ins Leben zu finden, so weit wie es eben geht zu Ende geboren zu werden und das Trauma zu verwandeln. Wenn an dem Satz „Keine Schönheit ohne Gefahr“ was dran sein sollte, ist The Fabelmans wirklich Steven Spielbergs schönster Film.

 

The Fabelmans
USA 2022, Regie Steven Spielberg
Mit Gabriel LaBelle, Michelle Williams, Paul Dano, Seth Rogen
Laufzeit 151 Minuten