Gewaltdynamik

Streaming-Tipps: Post-68er-Filme

Andrews, Stewart, Seberg
Seberg, 2019, Benedict Andrews

„Seberg“ (Netflix) und „Une jeunesse allemande“ (Mubi): neuere Blicke auf die endlosen Erzählschleifen im Gefolge der Achtundsechziger-Aufstände

Die Revolte der Achtundsechziger hat eine Menge Bilder hinterlassen, die immer wieder und mit einer gewissen Unermüdlichkeit aufbereitet worden sind, für zahllose Dokumentationen und launige Rückblicke. Die Masse des Materials ergab sich zum einen natürlich daraus, dass die spektakulären Aktionen (Uni-Besetzungen, Demonstrationen, später die Folgen der Anschläge der RAF) von Nachrichtenredaktionen begleitet und aufgezeichnet worden sind; zum anderen aber auch daran, dass es zumindest in Berlin und Frankfurt starke Verbindungen zwischen Film und Revolte gab. Der spätere RAF-Terrorist Holger Meins studierte an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) in Berlin und fabrizierte bis zu seinem Untertauchen zahlreiche Kurzfilme. In Frankfurt verband Alexander Kluge Kritische Theorie und Kino.

Die klassische Erzählung von 1968 fasst die Revolte als Weg in die Gewalt. Der größere Teil der rebellierenden Studierenden fand demnach am Ende seinen Weg zurück in die bürgerliche Mitte, das nannte man dann auch den Marsch durch die Institutionen. Ein wesentlich kleinerer Teil wurde von einer Art Gewaltdynamik ergriffen, kippte irreparabel aus der bürgerlichen Welt heraus und landete im Knast. Eine Erzählung, in der eine geglückte Revolte nicht vorgesehen ist oder, besser, die davon ausgeht, dass die Rückkehr in die Mitte Voraussetzung des Geglückten ist.

Diesen Bogen zieht auch Jean-Gabriel Périots Dokumentarfilm Une jeunesse allemande (Eine deutsche Jugend). Aber anders als die regulären Dokumentationen lässt Périot die Bilder für sich selbst sprechen und spart eine erklärende Voice-over (weitgehend) aus. Die Gewichtung liegt, spätestens wenn Ulrike Meinhof auftaucht, auf dem Strang der Revolte, der zur RAF geführt hat. Abwesend bleiben die elementare Rolle, die Kritische Theorie und andere Texte für die Titelheldin, die deutsche Jugend, gespielt haben.

Das sind aber auch die einzigen Verengungen, die Une jeunesse allemande vornimmt. Überhaupt scheint die Montage hier zu versuchen, die Bilder wieder offen lesbar werden zu lassen und so einen neuen Blick auf eine in diversen Endlosschleifen, zu jedem Jubiläum aufs Neue durcherzählte historische Phase zu ermöglichen.

Was alle Bilder in Une jeunesse allemande bestimmt, ist der Eindruck, dass sie in einer Gesellschaft in akuter Bewegung entstanden sind. Man kann vermuten, dass das Zuschauer:innen-Interesse an den Bildern von 1968 dann auch kein einfach rein historisches ist, sondern sich an diese im Kampf entstandene Auflösung von Starrheit heftet. Die nämlich wirkt beim Sehen sehr belebend.

Das seit kurzem auf Netflix zu sehende Biopic Seberg erzählt von den Kräften, die diese Starrheit wiederherstellen wollten, am Bespiel der Ermittlungen des FBI gegen die Schauspielerin Jean Seberg. Seberg spendete während eines Drehs in den USA Ende der Sechzigerjahre an die Black Panther, was wiederum das FBI zu am Ende illegalen Abhöraktionen veranlasste. In deren Zuge fliegt die Ehe von Seberg auseinander – sie hatte eine Affäre mit dem Aktivisten Hakim Jamal (Anthony Mackie) angefangen –, weil das FBI Jamals Ehefrau darüber informiert hatte. Sie verliert ein Kind, zwei Tage nach der Geburt, und kehrt zurück nach Frankreich.

Seberg entwickelt ein paar intensive Sequenzen für eine von sublimem Sadismus mitbefeuerte Staatsgewalt und damit sozusagen exemplarische Bilder für die unmittelbar gewalttätigen Maßnahmen zur Durchsetzung eines reaktionären Rollbacks. Ansonsten surft der Film allerdings an der Oberfläche. Über Jean Sebergs Beweggründe erfährt man nichts, über die Politik der Black Panther auch nicht; am komplexesten gebaut ist dann ausgerechnet die Figur des zunehmend zweifelnden FBI-Agenten (Jack O’Connell).

Was Seberg trotzdem sehenswert macht, ist vor allem die Performance von Kristen Stewart. Einerseits spielt sie natürlich Jean Seberg, möchte in ihrem Spiel andererseits aber gar nicht suggerieren, dass sich hier eine Schauspielerin in eine andere verwandelt hätte. Man sieht ihr beim Spielen zu, und es sind beide gleichermaßen in der Performance präsent, Stewart und Seberg.

 

Une jeunesse allemande
FR/CH/DE 2015, Regie Jean-Gabriel Périot
Laufzeit 93 Minuten
MUBI

Seberg – Against All Enemies
USA/UK 2019, Regie Benedict Andrews
Mit Kristen Stewart, Jack O'Connell, Anthony Mackie
Laufzeit 102 Minuten
Netflix