Eye-Candy

Streaming-Tipps KW 45

Antosca, Veith, Candy
Candy, 2022, Nick Antosca, Robin Veith

„Candy“: Jessica Biel als axtschwingende Mörderin (auf Disney+), dazu eine pikante Hitchcock-Hommage („Sisters“ auf Mubi) und die rätselhafte Zukunft des deutschen Fernsehens („Souls“ auf Sky).

Der True Crime-Trend kämpft gegen jedwede Erschöpfungserscheinung und ignoriert alle Anzeichen von Anstand. Während die Popularität dieses Subgenres angesichts unseres manchmal moralisch zweifelhaften Fetischs für wahre Verbrechen in den vergangenen Jahren explodiert ist – und wir reißerischen Schrott wie Dahmer auf Netflix getrost ignorieren können –, stellt sich Candy (Disney+) als Geschichte von zwei ungleichen und sehr unglücklichen Hausfrauen vor. Ihre Wut schwelt subkutan, gespielt werden sie hervorragend und mit Dauerwellen von Jessica Biel und Melanie Lynskey (die Ehemänner der beiden haben übrigens auch nette kleine Rollen).

Der Titel der Miniserie ist entweder keine oder eine ironische Anspielung auf Süßes, nämlich der Name der fröhlichen, texanischen Hausfrau Candace „Candy“ Montgomery (Biel), die eines Nachmittags in den 1980ern ihre Freundin Betty Gore (Lynskey) zerstückelte. Ihrer eigenen Meinung nach war es Notwehr – obwohl sie mit einer Axt einundvierzig Mal auf die Frau eingehackt hat. Candy Montgomery wurde von einer Jury für unschuldig befunden. Wenn es nicht wirklich passiert wäre, man könnte es für eine Folge der Vorstadthöllensaga Desperate Housewives halten, aber unter der Ägide von Steven Soderbergh. Inszeniert wurden zwei Folgen von Michael Uppendahl (Mad Men, Fargo), der im Stile Soderberghs niederdrückendes Braun und Senfgelb mit Noir-Elementen vermischt.

Nick Antosca, der den Fünfteiler gemeinsam mit Robin Veith geschaffen hat, kreierte auch die hervorragenden True Crime-Serien The Act (Prime Video) und A Friend of the Family (ab 25. November bei Sky Q). In beiden geht es um zutiefst bizarre Verbrechen im amerikanischen Vorstadtmilieu, eine Welt, die spätestens mit Twin Peaks Anfang der Neunziger aufgeflogen ist.

Reißerisches Spektakel mit salonfähiger Raffinesse konnte kaum einer so gut wie Brian de Palma verweben. Im Versuch, seine Karriere wiederzubeleben und einen kleinen Kassenschlager zu landen, beschloss De Palma, Alfred Hitchcock zu huldigen, als der „Master of Suspense“ langsam aus der Mode kam. Die erste Inspiration für seinen späteren Slasher Sisters (1973; jetzt auf MUBI) kam 1966 aus einem Artikel im Life-Magazin über Mascha und Dascha Kriwoschljapowa, siamesische Zwillingsschwestern aus Moskau. Besonders beeindruckt war De Palma offenbar von einem Foto, auf dem eine von ihnen sonnig und fröhlich aussah, während die andere finster dreinschaute.

Margot Kidder, die später als Lois Lane im 1978er Superman berühmt wurde, ist großartig als Doppelpersönlichkeit, eine süße, schikanierte Schönheit, die von William Finlay in einer seiner gruseligsten Figuren manipuliert wird. Dass Sisters De Palmas erster vollwertiger Versuch im Suspense-Genre war und die Weichen für größere und bekanntere Filme wie Carrie (1976), Dressed to Kill (1980) und Body Double (1984) stellte, erkennt man dank der schieren filmischen Brillanz, die er hier demonstriert, kaum. Er teilt auch zum ersten Mal die Bilder, was gut zum Zwillingsmotiv passt. Eine Splitscreen-Szene mitten im Film gehört zu den besten, die De Palma je gemacht hat. Es ist ein Film, der für die meisten als spannender Schmäh und für andere als durchtriebene Komödie fungiert.

Auch die Deutschen haben seit geraumer Zeit ihr Talent für Genre bewiesen. Der neue Achtteiler Souls (Sky Atlantic) hat eine gedämpfte, spröde Kunstfertigkeit, die Fans der deutschen Serie Dark bekannt vorkommen dürfte. Am Ende verlor sich das in einem Knoten aus verschiedenen Zeiten und Welten, aber für viele ist das jetzt der Goldstandard. Erdacht von Jantje Friese und Baran bo Odar, war Dark nicht nur die erste deutsche Serienproduktion für Netflix, sondern läutete quasi eine neue Ära für die deutsche Unterhaltungsindustrie ein. Wenn das die Zukunft sein soll, dann sieht sie allerdings sehr finster aus. Das Farbspektrum reichte von melancholischem Waldgrün bis hin zu deprimierendem Nebelgrau. Die Sonne scheint übrigens auch in Frieses und Odars neuer Mystery-Serie 1899 (ab 17. November auf Netflix) nie.

Ähnlich verhält es sich mit Souls. Die neue Eigenproduktion von Sky hat einen sehr hohen handwerklich-ästhetischen Anspruch und zeigt Menschen, die in meeresblaugetönten, stimmungsvollen Bildern schweben, begleitet von einem bedrohlichen Soundteppich, der heuer in Cannes ausgezeichnet wurde. Das Ganze ist zumindest in den ersten beiden Folgen sehr bedeutungsschwanger inszeniert. „Kaum zu glauben, dass das eine deutsche Produktion ist”, schreibt etwa die SZ.

Aber man kann es ruhig glauben. Die Pathologin Allie ist wie einst Bill Murray in einer Endlosschleife gefangen. Sie wird von der großartigen Julia Koschitz gespielt und die Österreicherin ist so herzbewegend in ihrer Rolle, dass man sich fragen muss, warum wir sie nicht viel öfter zu sehen bekommen. Ihre herrlich überdrehte Figur, die ihr Schicksal schwarzhumorig aus dem Off erzählt, muss den Tag immer und immer wieder erleben, an dem ihr Mann Leo (Laurence Rupp), Pilot von Beruf, seine Passagiermaschine mit 125 Menschen an Bord bei einer Entführung zum Absturz bringt.

Parallel dazu erzählen die Drehbuchautor:innen um Schöpfer Alex Eslam und Hanna Maria Heidrich auch eine zweite (und dritte) Handlung. Derweil Allie jeden Morgen in Schweden aufs Neue erwacht und versucht, kreative Lösungen zu finden, damit ihr Mann nicht abstürzt, behauptet anderswo in Deutschland, in einer anderen Zeit, der vierzehnjährige Jacob (Aaron Kissiov), eben jener wiedergeborene Pilot zu sein. Unterdessen schließt sich im Berlin der Zukunft die 25-jährige Linn (Lili Epply) einer mysteriösen Sekte an, die an Wiedergeburt, also Seelenwanderung, glaubt.

Wie all diese wirklich anspruchsvoll erzählten Stränge zusammengeführt werden, lässt sich nach zwei von acht Folgen noch nicht sagen. Nur weil man einen Teil der Zukunft kennt, hat man noch lange nicht das große Ganze verstanden. Was für Souls spricht: Es ist ein Rätsel, das man lösen will.