Es gibt keine Überleitung

Streaming-Tipps KW 9

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Bullet Train, 2022, David Leitch

„Sr.“: Robert Downey Jr. porträtiert seinen Vater (auf Netflix). Und Brad Pitt unterhält selbstironisch als Killer im clever überdrehten „Bullet Train“ (auf Sky).

Familiengeschichtenfilme funktionieren eigentlich immer. Weil, eine Familie hat dann doch mehr oder weniger jede und jeder. Und wer keine hat, kennt die Wünsche, Ängste, Kränkungen, das Schöne und das Schreckliche des Familiären aus den kulturell tradierten Erzählungen. Also unter anderem aus dem Kino.

Robert Downey Jr. hat in seinem stimmigen und bei aller Stimmigkeit überraschenden Film Sr. seinen Vater porträtiert, den 2021 verstorbenen Filmemacher Robert Downey Sr. Drei Jahre lang hat ein Team unter der Regie von Chris Smith den Junior und den Senior mit der Kamera begleitet. Überraschend ist, wie hier ein Blockbuster-Regular (Robert Downey Jr. ist einer der bestbezahlten Schauspieler Hollywoods) ein sehr genaues Gespür für die Ästhetik und den Geist des Underground-Kinos der Sechziger und Siebzigerjahre zeigt: Schwarzweißbilder, assoziative Verknüpfungen, Reflexivität (Sr. beginnt, den Film selbst zu schneiden, das Team wird ins Bild eingebunden), Wissen um das Performative vor der Kamera.

Weniger überraschend, wenn man sieht, wie und mit wem Robert Downey Jr. aufgewachsen ist. Robert Downey Sr. war einer der bekanntesten Counterculture-Filmemacher. In seinem Werk finden sich gut gealterte satirische Filme, immens Rauschhaftes und surrealistische Exkurse. Der Sohn hat seinen ersten Filmauftritt vor der Kamera, im Alter von fünf Jahren, im Film Pound, 1970. Mit der Zeile: „Have any hair on your balls?“ Das wirkt aus pädagogischer Perspektive vielleicht etwas bedenkenlos. Später kiffen die Eltern gemeinsam mit dem Sohn, mit dem glücklosen Umzug der Familie von New York nach Los Angeles kommt noch Kokain dazu. Juniors Erwachsenenkarriere musste wegen massiver Suchtprobleme für ein paar Jahre pausieren.

Das alles wird in Sr. nicht als skandalös und nicht einmal dramatisch präsentiert. Downey Jr. nähert sich seinem Vater eher fragend; offenbar will er ihn beeindrucken und zum Lachen bringen. Was den Küchenpsychologen vor dem Bildschirm auf den Verdacht bringt, dass ein Elternpaar sich hier doch zuallererst um die Kunst und das eigene Geltungsbedürfnis gekümmert hat, man hier also auch die Folgen eines vielleicht chronischen Aufmerksamkeitsdefizits vorgeführt bekommt.

Die Kamera jedenfalls scheint die Bedingung dafür zu sein, dass Vater und Sohn offen miteinander sprechen. Weil sie wissen, dass das Projekt – die jeweilige Szene – eben das jetzt erfordert, sei es geschauspielert oder „authentisch“. Ein Adjektiv, mit dem man hier generell nicht weit kommt. In Downeys Familie werde alles zu Kunst gemacht, erklärt der Psychotherapeut dem Sohn, die Kamera ist auch bei der Therapiesitzung dabei.

Wovon erzählt das Kunstwerk also in diesem Fall? Von dem Versuch, den Vater zu verstehen und dem Publikum das Zeugnis einer Liebe zwischen Vater und Sohn zu geben. Damit diese Liebe, der sich alle in diesem Film vielleicht dann doch etwas unsicher sind, ein Bild bekommt, also in der Logik dieser Familie wirklich wird, real, kurz vor Ende. Am Schluss stirbt der Vater, und der Enkel soll vor der Kamera noch einmal eine Szene nachspielen, unter Anleitung des Sohnes, und den Großvater was fragen: „Have any hair on your balls?“

Sr. ist ein ausgesprochen schöner kleiner Film geworden. Wie könnte eine Überleitung von hier zu Bullet Train aussehen? Es gibt keine, der Film ist schlicht das Gegenteil der Untersuchung des Kleinen und will vor allem schnell und laut und groß sein.

 

Deswegen ohne Überleitung: Bullet Train ist ein sagenhaft unterhaltsamer Riesenquatsch (die Exkurse über die Schicksalhaftigkeit des Lebens, die vielleicht so etwas wie Tiefe zumindest suggerieren sollen, kann man einfach ignorieren), der in der ersten halben Stunde in seinem Coole-Killer-machen-lustige-Gewaltsachen arg nervt. Wenn man dann aber kapituliert und einfach mitzieht, geht Bullet Train formvollendet durch die Decke. Eine Handvoll Killer im Hochgeschwindigkeitszug nach Tokyo, keiner weiß vom anderen. Es wird spektakulär gestorben und lustig rumgelabert. Das Drehbuch ist in seiner Cleverness schon auch anstrengend, wenn es einerseits klischierte, andererseits immer einen Tick ins Absonderliche gedrehte Figuren aus dem Gangsterfilmgenre aufeinander loslässt.

Wenn man ignoriert, dass hier vielleicht doch manchmal allzu sehr der Idee nachgeeifert wird, Quentin Tarantino in lustig sein zu wollen, versprüht die Mischung aus Hochgeschindigkeitsdialogen und humorigem Actionblödsinn einen großen Reiz. Nicht zuletzt, weil Bullet Train von den Haupt- (Brad Pitt, Aaron Taylor-Johnson, Brian Tyree Henry, Joey King) bis in die Nebenrollen (Sandra Bullock, Michael Shannon) exzellent besetzt ist.