Echt

Eine nie mehr enden wollende Matura-Abschlussfahrt

Frank, Echt
Echt – unsere Jugend, 2023, Kim Frank

Hormonterror und Ausnahmezustand: Die dreiteilige Miniserie „Echt – Unsere Jugend“ in der ARD-Mediathek erzählt die Geschichte der deutschen Teenie-Band Echt.

Kim Frank, ehemals Sänger der 2002 aufgelösten Band Echt, hat 240 Stunden Filmmaterial gesichtet und einen dreistündigen Film zusammengebaut. Die Musik von Echt galt damals wie heute als textlich wie musikalisch banaler Teenie-Schlager. Und klingt auch tatsächlich so. Die Band verkaufte Platten wie blöde und wurde auf Festivals von Jungmännern mit Zeug beworfen. Die Gefühle und Projektionen von Teenie-Mädchen – die Fans von Echt waren zu wahrscheinlich 95 Prozent weiblich – gelten subkulturell informierten oder auch einfach lebensälteren Menschen oftmals eher wenig. Und die Abschätzigkeit, mit der Echt damals bedacht waren, mag auch damit zu tun haben, dass man auf 16-Jährige, die mal eben einfach so die Schule schmeißen, um ein paar Jahre Party und ganz gut Geld zu machen, schon mal vorbewusst neidisch werden konnte.

Kim Frank hat sich als Regisseur seiner eigenen filmischen Jugendbiografie bewusst gegen Fan-Service entschieden. Was ja auch recht weise ist, schon weil es keine Echt-Fans mehr gibt. Der Hype war heftig und kurz, das dritte und letzte Album floppte, und die Band löste sich 2002 auf. In den fünf Jahren zuvor aber war Alarm, und die Bilder von damals, die Frank in einem sehr ausdauernden Voice Over kommentiert und einordnet und mit Pathos auflädt, zeigen eine Jugend im Ausnahmezustand. Die schwankenden Amateur-Aufnahmen, die damals von der Band selbst mit einem Camcorder gemacht wurden, fangen Rausch, Hormonterror und Überdrehung präzise ein. Saufen, Kiffen, Sex, aber alles nicht sonderlich exzessiv, sondern mehr wie eine nie mehr enden wollende Abi-Abschlussfahrt.

Echt, Frank, SWR
© SWR/Echt

Die düsteren Seiten der ganzen Geschichte werden in Echt – Unsere Jugend nicht am Rande erzählt, sondern immer wieder ins Zentrum gerückt. Gitarrist Kai Fischer hat mit schweren Depressionen zu kämpfen, die vom Rest seiner Welt unbemerkt bleiben, Kim Frank hat Angststörungen, der Manager agiert immer wieder übergriffig und lanciert ohne Absprache ein unvorteilhaftes Nacktfoto des damals nicht einmal volljährigen Sängers in der „Bild“-Zeitung. Am Ende fliegt alles auseinander.

Echt – Unsere Jugend ist ein Porträt einer durch das junge Alter ihrer Mitglieder ungewöhnlichen Band, eine Coming-of-Age-Doku und ein Zeitbild. Picklige junge Männer und die erste Liebe, Konflikte mit den Autoritätspersonen um einen herum. Aber eben alles sturznormal und zwölfmal größer zugleich, weil die Band gleich mit dem ersten Album durch die Decke geht. Da ist Kim Frank gerade einmal 16 Jahre alt.

Der Film erzählt also von einem Aufwachsen unter extremen Bedingungen. Und er ist vor allem ein Porträt der Neunziger, einer Zeit, die im Rückblick als „Jahrzehnt der Freiheit“ gelabelt wurde – zwischen dem Fall der Mauer und 9/11 – und offensichtlich für Leute gemacht, die damals aufgewachsen sind. Je nachdem, ob die Jugend eine glückliche oder eher beschissene war, beschleichen Zuschauerin und Zuschauer beim Sehen nostalgische oder Beklemmungsgefühle oder einfach beides. In jedem Fall wirkt das alles in der Montage von Kim Frank sehr stark, die Frisuren, der Humor, das endlose Teenie-Gelaber, die VIVA-Ästhetik (ergänzend kann man in der ARD-Mediathek die dreiteilige VIVA-Story – zu geil für diese Welt! streamen, die die Geschichte des Musiksenders in all ihrer Glorie – Charlotte Roche – und all ihrem Elend – Niels Ruf – rekonstruiert). Und eben auch die einerseits schreckliche, in ihrem pubertär-ungebrochenem Pathos aber auch wieder berührende Musik.

„Jahrzehnt der Freiheit“ ist natürlich Quatsch, die Menschen waren 1996 genauso unfrei wie sagen wir 2005. Und dass auch diese Band, bei all den Möglichkeiten, die die fünf Mitglieder hatten, nicht „frei“ war, daraus macht der Film kein Geheimnis, eingespannt zwischen Label, Management, den eigenen diffusen Ambitionen und der gnadenlosen Boulevardpresse. Dass Frank keine Peinlichkeit wegmontiert und zum Beispiel einen damals blamablen, heute eher harmlos wirkenden Auftritt in der Harald-Schmidt-Show, nicht kleinmontiert, sondern auswalzt, gehört zu den großen Qualitäten des Films. Dass sich Echt – Unsere Jugend unablässig um den Regisseur selbst dreht, macht ihn wiederum sehr anstrengend. Aber auch das gehört dazu, vielleicht als symptomatische Ebene, von der der Film selbst eventuell gar nicht so viel weiß: Die drei Stunden zeigen auch und nicht zuletzt die zunehmend angespannte Anstrengung, etwas Besonderes und Übergroßes zu werden und zu bleiben, für immer möglichst. Oder küchenpsychoanalytisch formuliert: Echt – Unsere Jugend dokumentiert den Versuch, im Imaginären zu verbleiben und nicht in den Bereich des Symbolischen eintreten zu müssen. Wobei Nichterwachsenwerdenwollen unter den Bedingungen der Unfreiheit ja wirklich nicht die schlechteste Idee ist.

 

Echt – Unsere Jugend
Deutschland 2023, Regie Kim Frank
Mit Kim Frank, Kai Fischer, Andreas Puffpaff, Florian Sump, Gunnar Astrup
Laufzeit 3 Folgen zu je rund 60 Minuten