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Dänemark schlägt Österreich erneut: „Borgen“.

borgen, sidse babett knudsen
Borgen – Macht und Ruhm, 2022, Adam Price

Die dänische Politik- und Medienserie „Borgen“ (auf Netflix) landet mit ihrer Neuauflage wieder einen Volltreffer.

Die jüngeren Fußballduelle der österreichischen gegen die dänische National-Auswahl gingen allesamt zugunsten der Dänen aus. Aber nicht nur in der Männerfußball-Weltrangliste liegt das mit weniger als sechs Millionen Menschen um ein Drittel kleinere Land klar vor der Alpenrepublik.

Wir wollen hier nicht von der kaum halb so hohen Staatsschuld Dänemarks reden, oder von den um fast die Hälfte höheren Bildungsausgaben im Vergleich zu Österreich. Das Land an der Öresund-Brücke (wo die stilbildende dänisch-schwedische Krimiserie Broen / Bron / Die Brücke begann), hat auch in einer schlecht messbaren, doch umso wichtigeren Kategorie die Deutungshoheit. Wo der hierländische Horizont der öffentlich-rechtlichen Eigenproduktionslandschaft im Wesentlichen auf leichte Unterhaltung begrenzt ist, wurde dem nicht minder leutseligen dänischen Publikum schon vor zwölf Jahren der Tatort Borgen präsentiert. Und nun muss man schon wieder klar konstatieren: In Sachen TV-Serien schlägt der dänische Sender DR den ORF.

Sieht man sich Borgen – Macht und Ruhm an, fällt Österreichs Niederlagenserie mittlerweile schmerzhaft aus, denn quasi im Wiederholungsspiel hat Dänemark nun das 4:0 erzielt. Neun Jahre nach den ersten drei Staffeln haben die Borgen-Macher eine vierte nachgelegt (in Zusammenarbeit von DR1 und Netflix entstanden, in AT und DE auf Netflix zu sehen), bevor der ORF auch nur einen Treffer gelandet, sprich: wenigstens einen einzigen Acht- oder Zehnteiler vergleichbarer Güte hingelegt hätte. So ist das, wenn man sich immer nur auf Hirscher oder Arnautovic verlässt, oder halt auf Vorstadtweiber und Walking on Sunshine. Nichts gegen flockig-lockere Wuchtel-Amüsements, aber in dieser Republik sind in den vergangenen zehn Jahren Dinge vorgefallen, auf Grundlage derer man locker drei pralle Seriensaisons mit elegantem Witz und Gravitas zugleich füllen könnte.

Sky hat mit seinem Schnellschuss-Vierteiler Die Ibiza Affäre, welcher Persönliches und Politikdrama gekonnt mit Satire mischt (Episode drei hieß: „The Red-Bull-Brother from Austria“), im Vorjahr die richtige Richtung angetippt. Vor allem Nicholas Ofczarek als Detektiv und Andreas Lust als HC Strache waren in der auf dem gleichnamigen Sachbuch der damaligen SZ-Aufdeckerjournalisten basierenden Serie eine Wucht. Doch in allen ambitionierteren öffentlich-rechtlichen Produktionen der vergangenen Dekade, von Altes Geld bis Braunschlag sozusagen, finden sich nur Spurenelemente der Qualität, die Borgen ausmacht.

Die Ibiza Affäre, 2021, Christopher Schier © Petro Domenigg / Sky Studios

Wer im ORF etwas über die Zusammenhänge von Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Medien erfahren will, wird zwar von vielen Info- und Reportage-Formaten gut bedient, aber eine durcherzählte GESCHICHTE über das Ganze kriegt man nicht. Dabei lassen sich doch das System und seine Protagonist:innen (und die vielen, vielen entscheidenden Dinge hinter den Kulissen, die Off-Record-Kommentare, die Verdrehungen und Tauschgeschäfte und Mauscheleien zwischen Politikern, staatsnahen Wirtschaftsleuten und Medien, die gekauften Umfragen, die schwer nachweisbaren Parteispenden und Korruptionsversuche, das Geplänkel um die hochdotierten Posten, die Ränkespiele und die regierungsinternen Kuhhändel, um die jeweils eigene Klientel zu befrieden etc.) viel nachvollziehbarer in ihrer vollen menschlichen Dimension in Form gut geschriebener und geschickt inszenierter Geschichten erzählen. „Ibiza“ hat wieder einmal vor Augen geführt, dass die Realität fiktionaler wirken kann als die Fiktion selbst. Und die sogenannten „Bösen“ müssen nicht immer Knallchargen und Karikaturen sein, sondern können auch als lebensechte Menschen gezeigt werden. So hat Borgen – Gefährliche Seilschaften es schon vor zwölf Jahren gemacht und so hat Borgen – Macht und Ruhm es nun wieder getan für Dänemark (außerdem gibt es im darin adäquat porträtierten Nachrichtensender einen spannenden Arbeitskonflikt, den das Fellner-TV wohl „Zickenkrieg“ genannt hätte, bevor es sich selbst im Metoo-Taumel wiedergefunden hat).

Was Personal und Plot der Basis-Serie betrifft, reicht es an dieser Stelle, auf einen Text aus dem Jahr 2015 zu verweisen. Aktueller Tenor ist leider immer noch, mit der Bitte um Verzeihung für den Kalauer: Österreich sollte sich von Dänemark etwas borgen! Die aktuellen acht Folgen, die man übrigens auch ohne die ersten drei Saisons mit Gewinn sehen kann, stehen der Basis-Serie keineswegs nach. Auch interessante Aspekte der Weltpolitik fließen hier ein – am Beispiel eines fiktiven Ölfundes in Grönland –, und wie hellsichtig und fesselnd und politisch am Puls der Zeit man über Politik erzählen kann, wenn man über die Menschen (vor allem über die Frauen) in der Politik erzählt, beweist Borgen erneut eindrucksvoll. Diese Einschätzung wird übrigens auch andernorts geteilt.

Wenn zum Beispiel die nunmehrige Außenministerin Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen) zwischen alle Stühle gerät, nur weil sie ihren nachhaltigen Klimakurs beibehalten will, sieht man Machterhalt und Meinungshoheit auf höchstem Niveau nachvollziehbar konkurrieren. Und wenn Nyborgs liberal erzogener Sohn als Tierrechtsaktivist den Tod von 17 Schweinen verursacht, versteht man, dass sie mit Social-Media-Selfies und Society-TV-Auftritten darüber hinwegtäuschen will. Und sieht doch, wie sie sich immer unsympathischer macht in ihrem Versuch, an der Macht zu bleiben.

Oft hört man von Politikberater:innen, dieser oder jener Politiker habe es nicht geschafft, eine glaubhafte Erzählung zu vermitteln oder ein gutes Narrativ für seine Positionierung zu (er)finden. Wir sagen: Geschichten sollen nicht unsere gewählten Repräsentanten erzählen, sondern jene, die dazu berufen sind.

Also, ORF, gründe endlich eine „Soko Serie“! Und ihr Drehbuchautor:innen des Landes, holt euch Meriten! Sekkiert die ORF-Serienredaktion, recherchiert euch durch Chats und Akten und Protokolle und Nachrichtenarchive, holt euch Material aus der verdienten Redaktion der Satire-Bildungssendung „Gute Nacht Österreich“ oder von hier oder von hier, redet mit transparenzgeprüften Politikerinnen und Medien und Spindoktoren, holt euch dramaturgische Inspiration, allerdings weniger bei House of Cards als bei The West Wing und anderswo, entwickelt glaubwürdige (Anti-)Held:innen und schreibt endlich das Borgen von Österreich! Eine mögliche schwerreiche Hauptfigur könnte etwa Rudi Penko heißen, anstelle des Grönland-Plots bietet sich ein Thriller-Strang um die defekte Reaktoranlage im grenznahen AKW Bohunice an. Vorschlag für einen sprechenden Arbeitstitel: „Ballhausplatz“. Hat was von Ballspielen, hat was von Hausmacht. Will der ORF kein Platzhirsch sein?